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60Plus | Porträt | Juli, 2017
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Evi Gstöhl, Eschen

Sie hilft, wenn es um Sterben, Tod, Leiden und Trauer geht

 

Evi Gstöhl, geb. Fehr, hat, durch einen ihrer Vorfahren, der nach Nofels ausgewandert ist und Österreicher wurde, Eschner Wurzeln. Sie ist in Altenstadt in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Aufgrund ihrer guten Noten konnte sie das Bundesgymnasium besuchen und machte die Matura. Ihre Ahna hat ihr viel für‘s Leben mitgegeben. So lernte sie schon in jungen Jahren mit dem Tod und der Trauer umzugehen. Evi wurde Lehrerin und war nach ihrer Heirat mit dem Eschner Paul Gstöhl als Primarlehrerin tätig. Sie hat sich auf Landes- und Gemeindeebene viele Jahre engagiert, machte die Ausbildung zur Hospizbegleiterin und arbeitete im Verein Abschied in Würde in Vorarlberg. Die Sterbe- und Trauerbegleitung ist für Evi eine Berufung und bis heute ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens.

Ein Blick ins Eschner Stammbuch verrät, dass Evi Gstöhl, geb. Fehr, in Eschen verwurzelt ist. Ihr Vorfahr wanderte in jungen Jahren vom Rofenberg in Eschen nach Nofels aus. Durch die Heirat mit Paul Gstöhl aus Eschen kehrte sie ein Jahrhundert später wieder in die alte Heimat zurück. Evis Vater, Franz Fehr, betrieb in Weiler ein eigenes Frisörgeschäft. Ihre Mutter Erika, geb. Schick, stammt aus Ehrensberg im Kreis Biberach/Baden-Württemberg. Evi Fehr, geboren 1956, ist in bescheidenen aber guten Verhältnissen zusammen mit ihren drei Geschwistern, Dietmar geb. 1959, Sonja geb. 1960 und Gitti geb. 1964, in Altenstadt aufgewachsen. Die ersten 10 Jahre wohnten sie zusammen mit den Grosseltern väterlicherseits in einem alten Bauernhaus ohne Bad und Heizung und einem Plumpsklo im Tenn.

Evi Gstöhl: «So feines Klopapier wie heute war damals viel zu teuer für uns. So sammelte meine Ahna Zeitungen und ich half ihr dabei oft, sie auf ein handliches Format zuzuschneiden…»

Im Winter waren oft die Wasserleitungen zugefroren und an den Fenstern bildeten sich Eisblumen. Ihre Ahna spielte in der Entwicklung ihres Lebens eine wichtige Rolle. 1965 übersiedelte die Familie ins neu erbaute Haus weitab vom Dorfkern, wo sich damals noch Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Zur Freude aller besass das neue Haus Zentralheizung, Badezimmer und Toilette mit Wasserspülung.

Werner Ospelt wollte mehr über das Leben dieser sozial engagierten Frau in Erfahrung bringen und hat sie in ihrem schönen Zuhause in Eschen besucht.

Evi Gstöhl: «So feines Klopapier wie heute war damals viel zu teuer für uns. So sammelte meine Ahna Zeitungen und ich half ihr dabei oft, sie auf ein handliches Format zuzuschneiden…»

Evi strahlt, wenn sie von ihren Kinderjahren spricht, die sie in der Luegerstrasse an der Nafla (Bach) in Altenstadt erlebte. Am liebsten war sie draussen in der Natur. Sie spricht von einer schönen Kindheit ohne Fernseher und Freizeitstress. Sie war sehr unternehmungslustig, neugierig und interessiert an allem, nicht immer zur Freude ihrer Eltern. Der Dorfbach «Nafla» war ein zentraler Spielplatz. Im Winter gab es noch viel mehr Schnee als heute und es war auch kälter.

«Im Winter ist die Nafla, der Dorfbach vor unserer Haustüre, immer zugefroren und wir konnten darauf herrlich eislaufen. Bei Tauwetter wurde uns strikt verboten, das Eis zu betreten. Das hat mich aber nicht daran gehindert, es auszuprobieren.»

Evi Gstöhl: «Im Winter ist die Nafla, der Dorfbach vor unserer Haustüre, immer zugefroren und wir konnten darauf herrlich eislaufen. Bei Tauwetter wurde uns strikt verboten, das Eis zu betreten. Das hat mich aber nicht daran gehindert, es auszuprobieren. So bin ich auf dem Nachhauseweg von der Schule auf dem Eis eingebrochen und meine Schultasche ist vor meinen Augen unter dem Eis davon geschwommen. Ich konnte mich befreien und bin dem Bach entlang gelaufen, bis ich sie wieder gefunden habe. Meine Ahna hat dann den Ofen in der Stube angeheizt und alle meine Hefte und Bücher getrocknet. Am anderen Tag ging ich zur Schule und niemand hat etwas gemerkt, auch meine Mama nicht!»

Evi war traurig, als sie die «Nafla» und das alte Bauernhaus  verlassen mussten und in das neue Haus am Rande des Dorfes gezogen sind. Sie vermisste ihre Grosseltern, die Umgebung und ihre Spielkameraden.

Auf meine Frage, ob es früher oder heute schöner war, meint Evi Gstöhl, dass es früher friedlicher zu und hergegangen sei. Die Eltern mussten weniger Angst um ihre Kinder haben. Auf dem «Bänkle» vor dem Haus sei ihr Ehni gerne gehockt, um mit allen ein Schwätzchen zu halten. Es sei immer etwas los gewesen. Die Leute hätten einander geholfen, sei es beim Hausbau oder wenn in einer Familie Erstkommunion gefeiert wurde, half man sich gegenseitig beim Kochen.

Evi Gstöhl: «Wenn ich mich zurückerinnere, hatten wir es schön. Es war noch nicht so hektisch wie heute. Das grösste Problem heute liegt für mich in der Geschwindigkeit. Das Handy beispielsweise trägt dazu bei, dass wir Tag und Nacht erreichbar sind, erreichbar sein müssen. Wir sollten schon alles gemacht haben, bevor wir überhaupt davon wissen, übertrieben gesagt. Wir haben fast keine ruhige Minute mehr. Früher wussten wir nicht sofort, was in der Welt passierte. Heute sind wir teilweise sogar live dabei.

Evi Gstöhl spricht von einem ihrer eindrücklichsten Erlebnisse: «Als mein Grossvater gestorben ist, haben wir ihn zu Hause in der Stube aufgebahrt, für ihn gebetet und Abschied genommen. Am Tage der Beerdigung ist eine Kutsche mit vier Rössern in schwarzem Geschirr vorgefahren. Die Kutsche mit meinem Ehni im Sarg fuhr begleitet vom Trauerzug zum Friedhof. Diese Art und Weise der Verabschiedung hat mich sehr berührt, ein Abschied in Würde, der in mir etwas ausgelöst hat. Ich habe geweint, ich war 14. Er war ein feiner Ehni. Meine Ahna war eine ganz soziale Frau. Sie ging jede Woche mindestens zweimal mit mir in die Valduna auf Besuch. Ich wusste damals nicht, dass diese Leute dement waren oder Alzheimer hatten. Wir haben miteinander gespielt wie im Kindergarten oder in einer Spielgruppe. Ich hatte immer gerne alte Leute um mich herum. Ich war und bin noch immer neugierig und mag es gerne, wenn sie mir stundenlang aus ihrem Leben erzählen.»

Am Tage der Beerdigung ist eine Kutsche mit vier Rössern in schwarzem Geschirr vorgefahren. Die Kutsche mit meinem Ehni im Sarg fuhr begleitet vom Trauerzug zum Friedhof. Diese Art und Weise der Verabschiedung hat mich sehr berührt, ein Abschied in Würde, der in mir etwas ausgelöst hat.

Mama Erika, Ahna Maria und Vater Franz Fehr

Schule, Ausbildung, Heirat, Lehrerin

Evi Gstöhl besuchte den Kindergarten, die Volksschule und die Hauptschule, wie andere auch. Aufgrund ihrer guten Noten jedoch wechselte sie nach zwei Jahren Hauptschule in die 3. Klasse des Bundesgymnasiums nach Feldkirch, wo sie 1974 maturierte. Sie begann dann das Medizinstudium in Innsbruck, das sie aber abbrach.

Evi Gstöhl: «Ich habe das Studium aus Sehnsucht nach meinem jetzigen Mann Paul abgebrochen, den ich im Dezember 1973, wenige Monate vor der Matura auf einer Klassenparty kennen und lieben gelernt habe. Er war in Begleitung eines Mitschülers von mir. Während meiner Zeit am «Gymi» trat ich dem Jugendrotkreuz bei und war Schulsprecherin. Ich durfte an Tagungen und Lagern mit internationaler Beteiligung teilnehmen. Ich hatte auch eine gute Ausbildung in Erster Hilfe und Hauskrankenpflege und machte freiwilligen Sonntagsdienst im Krankenhaus in Feldkirch.»

Nach Abbruch des Studiums in Innsbruck, machte ich die Ausbildung zur Volksschullehrerin an der Pädagogischen Hochschule Feldkirch, die ich 1977 erfolgreich abschloss. Am 25. Februar 1977 haben Paul und ich auf dem Standesamt in Feldkirch geheiratet, denn ich brauchte damals unbedingt die Liechtensteinische Staatsbürgerschaft, um eine Anstellung als Lehrerin im Lande zu bekommen.

«Ich habe es nicht bereut, das Medizinstudium abgebrochen und Paul geheiratet zu haben.»

Evi und Paul Gstöhl bezogen am 1. März 1977 ihre erste gemeinsame Wohnung im Oberstädtle in Nendeln. Sie trat nach den Sommerferien 1977 die erste Stelle als Lehrerin in Triesenberg an. Im Jahre 1978 wechselte sie an die Primarschule nach Eschen, wo sie bis zur Geburt ihrer Tochter Julia im Jahre 1984 unterrichtete. Sie wurde dann vom Schulamt immer wieder angefragt, kurzfristig erkrankte Kollegen zu vertreten. 1988 kam ihr Sohn Florin zur Welt. Nach einer kurzen Pause übernahm sie immer wieder Vertretungen, und war die letzten Jahre bis zu ihrem endgültigen Abschied aus dem Schuldienst im Jahre 2004 an der Primarschule in Eschen tätig.

«Ich habe das Studium aus Sehnsucht nach meinem jetzigen Mann Paul abgebrochen, den ich im Dezember 1973, wenige Monate vor der Matura auf einer Klassenparty kennen und lieben gelernt habe. Er war in Begleitung eines Mitschülers von mir.»

Evi Gstöhl: «Während dieser Zeit hielt der Computer in der Schule Einzug, es wurde ein neuer Lehrplan erstellt, der Beginn des Schuljahres wurde wieder vom Frühling auf den Herbst gelegt und die Noten wurden abgeschafft.»

Familie Gstöhl: v.l.: Sohn Florin, Evi und Paul Gstöhl und Tochter Julia

Eine sehr aktive und sozial eingestellte Frau

Evi Gstöhl ist, wie sie selber sagt, ein unruhiger Geist, immer sehr neugierig und an allem interessiert. So ist es nicht verwunderlich, dass sie sich auch im Land und vor allem in der Gemeinde Eschen engagierte. Das Ehepaar Evi und Paul Gstöhl übersiedelten im Dezember 1981 in ihr eigenes Haus in Eschen, direkt hinter dem Elternhaus von Paul Gstöhl am Kohlplatz. Jahre später wurde dieses dann abgerissen und das Farbenhaus erstellt.

Sie war einige Jahre im Vorstand des Frauenhauses Liechtenstein. Zudem war sie sehr aktiv und erfolgreich beim Anstossen von Projekten und Initiativen in der Gemeinde Eschen. So gründete sie den Elternverein an der Primarschule in Eschen und war Gründungsmitglied und erste Obfrau bei «Eschen Aktiv», wo es darum geht, das Dorfleben aktiv zu gestalten und das Gemeinschaftsleben im Dorf zu stärken.

Ebenfalls war Evi Gstöhl Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Integration behinderter Kinder in die normale Schule.

Evi Gstöhl sagt dazu: «Ziel war es, Kindern mit Behinderung den Besuch des Kindergartens und der Primarschule im Dorf zu ermöglichen und sie somit zu integrieren. Wir haben bewirkt, dass dies durch eine Gesetzesänderung möglich wurde. Danach wurde der Verein aufgelöst.»

Die Berufung von Evi Gstöhl: Sterbebegleitung und Abschied in Würde

Statement von Evi Gstöhl: «Den Tod sollte man nicht verdrängen, da er unser ständiger Begleiter ist. Am Sterbebett sind wir dann oft völlig hilflos und überfordert, weil das Thema Tod in unserem Alltag keinen Platz hat. Wir wissen nicht mehr, wie wir in der Trauer miteinander umgehen sollen.»

Und weiter sagt Evi Gstöhl: «Dass ich vor dem Tod keine Angst habe, das verdanke ich meiner Ahna, die einen normalen, natürlichen Umgang mit dem Tod hatte. Wenn jemand im Sterben lag, hat sie mich mitgenommen. Meine Ahna hat mich durch ihr Vorleben bis zu ihrem Tode sehr geprägt.»

Nach dem Austritt aus dem Schuldienst ist Evi Gstöhl nicht untätig geblieben. Das liegt in ihrem Naturell. Sie arbeitete ehrenamtlich im Spital Grabs als Teil eines Teams, das sich IDEM (Im Dienste eines Mitmenschen) nennt. Sie leistete jeden Montagnachmittag Patienten Gesellschaft.

Evi Gstöhl: «Es hat nicht jeder eine Grossfamilie im Hintergrund, je älter man wird, umso kleiner wird das soziale Netz oder alle sind berufstätig.»

Evi Gstöhl machte 2007 eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin und war ehrenamtlich für die Hospizbewegung Vorarlberg tätig. Sie begleitete schwerkranke und sterbende Menschen, auch in der Nacht und in Notsituationen.

Evi Gstöhl: «In einer Notsituation können Aussenstehende den Angehörigen einen sehr guten Dienst erweisen, da sterbende Menschen ihre Liebsten schonen wollen. Das Schönste bei den Sterbebegleitungen ist, dass du nichts tun musst, ausser mit offenem Herzen da sein und aushalten was ist. Und wenn ein Mensch es dann geschafft hat und ich dabei sein durfte: Das waren immer die schönsten Momente. Dies sind wunderbare Erfahrungen, die mir immer wieder helfen, mein Leben mit anderen Augen zu betrachten. Dankbar und demütig mache ich mich jeweils nach meinen Einsätzen auf den Heimweg.»

Evi Gstöhl wurde eines Tages vom Verein «Abschied in Würde» angefragt. Dieser Verein wurde von Frau Büsel in Vorarlberg gegründet und gestaltet Trauerfeiern. Von 2010 bis 2015 (ab dann freiberuflich) war Evi für den Verein als Ritualleiterin tätig und gestaltete Trauerfeiern der etwas anderen Art, die immer zusammen mit den Angehörigen der Verstorbenen vorbereitet wurden.

«Ich wünsche mir, dass ich mit dem, was das Leben für mich noch bereit hält, gut umgehen kann.»

Evi Gstöhl: «Das ist aktive Trauerarbeit: Es wird geweint, gelacht, erzählt, erinnert. Rituale werden entwickelt, Musik ausgewählt, passende Texte gesucht und geredet, geredet und nochmals geredet, alles hat Platz… Diese Arbeit erfüllt mich mit ungeheurer Freude. Das Vertrauen der Menschen einer wildfremden Person gegenüber ehrt und berührt mich jedes Mal. Die vielen positiven Rückmeldungen machen mich sehr glücklich. Die Erinnerung an eine schöne, persönliche und würdige Abschiedsfeier hilft den Hinterbliebenen bei der Verarbeitung.»

Ich habe dann Evi Gstöhl gefragt, wie sie es mit dem Glauben habe?

Evi Gstöhl: «Ich glaube schon an den Herrgott, denn ohne ihn wäre ich oft schon verzweifelt. Aber ich habe in jungen Jahren lange gegen alles Religiöse rebelliert, da unser Pfarrer im Dorf nur Angst verbreitete. Für mich existiert auf jeden Fall ein liebender und kein strafender Gott.»

Die Lieblingsbeschäftigungen von Evi Gstöhl sind Lesen, ihr Hund Lola, der Garten, die Gartenarbeit und alles, was mit Tod und Trauer zu tun hat. Dieses Thema liegt ihr sehr am Herzen!

Evi Gstöhl: «Meist haben wir keine Zeit mehr zu trauern, müssen gleich wieder funktionieren. Es wäre wichtig, den Schmerz anzunehmen, sich der Trauer zu stellen.»

Evi Gstöhl machte eine Ausbildung in Transaktionsanalyse, welche sich in ihrem Leben als sehr wertvoll erwiesen hat. Ein wichtiger Satz daraus: «Wahr ist nicht das, was ich sage, wahr ist das, was beim anderen ankommt.» Dies begleitete Evi Gstöhl bereits als Lehrerin und heute noch in ihrem Alltag. Ihre Ahna hatte eine grosse Leidenschaft für Zitate und Weisheiten, welche sie an Evi weitergegeben hat. Evis Trostspruch aus dieser Sammlung: Kein Schaden so gross, dass nicht ein Nutzen dabei ist.

Und was erhoffst du dir von deiner Zukunft? Das war die letzte Frage dieser sehr interessanten Unterhaltung.

Evi Gstöhl: «Ich wünsche mir, dass ich mit dem, was das Leben für mich noch bereit hält, gut umgehen kann.»

Danke Evi Gstöhl für das tolle Interview!