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60Plus | Im Blickpunkt | Dezember, 2018
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Interview mit Norbert Hemmerle

Präsident der Flüchtlingshilfe Liechtenstein

Norbert Hemmerle, Präsident der Flüchtlingshilfe, hat bereits im Dezember 2016 einen Beitrag im Zusammenhang mit den Flüchtlingen in Liechtenstein geschrieben. Dabei befasste sich der Beitrag speziell mit den Aufgaben der Flüchtlingshilfe. Es sind seither zwei Jahre vergangen. Das Thema «Asylsuchende/Flüchtlinge» ist nicht mehr so brisant wie in den vergangenen Jahren. In den umliegenden Ländern in Österreich und in der Schweiz sowie in Italien und Deutschland wird über den Umgang, die Integration und die Anzahl der Flüchtlinge immer noch heftig gestritten. Bei uns schlägt das Thema keine grossen Wellen, Gott sei Dank, muss man sagen. Es läuft anscheinend alles in geordneten Bahnen und man hat die Flüchtlingsproblematik im Griff. Es ist jedoch so, dass unterschwellig doch Ungewissheit und Bedenken gegenüber den Flüchtlingen in Liechtenstein bestehen. Vor diesem Hintergrund stellte 60PLUS dem Präsidenten der Flüchtlingshilfe einige Fragen, um konkret etwas mehr über die Flüchtlinge in Liechtenstein zu erfahren, sozusagen um «Licht ins Dunkel» zu bringen.

Wurden anfangs 2013 noch knapp 50 Personen betreut, bewegte sich diese Zahl ab Mitte 2015 immer über 100 Personen und erreichte im Mai dieses Jahres einen Höchststand von rund 160 Personen.

Wie hat sich die Anzahl der Flüchtlinge in den letzten Jahren entwickelt und wie hoch ist die Anzahl heute? Woher kommen die Flüchtlinge?

Norbert Hemmerle: «Gemäss Leistungsvereinbarung mit der Regierung ist der Verein Flüchtlingshilfe seit dem Jahre 1998 für die Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden, Schutzbedürftigen und vorläufig Aufgenommenen zuständig. In den letzten Jahren bewegte sich die Zahl der von der Flüchtlingshilfe betreuten Personen auf einem hohen Niveau. Wurden anfangs 2013 noch knapp 50 Personen betreut, bewegte sich diese Zahl ab Mitte 2015 immer über 100 Personen und erreichte im Mai dieses Jahres einen Höchststand von rund 160 Personen. In dieser Zeit waren die beiden Asylunterkünfte in Vaduz und Triesen sowie die verschiedenen Wohnungen, welche für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene zur Verfügung stehen, voll belegt.»

«Seither hat sich die Situation wieder entspannt. Zahlreiche Asylsuchende mussten aufgrund von Unzulässigkeitsentscheiden und negativen Asylentscheiden in diesem Jahr unser Land wieder verlassen (v.a. Personen aus sicheren Herkunftsstaaten wie z.B. Serbien), so dass gegenwärtig wieder einige Zimmer in den Asylunterkünften nicht belegt sind. Im November betreute die Flüchtlingshilfe noch 88 Personen, davon 21 Frauen, 39 Männer und 28 Kinder. Die meisten derzeit betreuten Personen stammen aus Tibet (13), gefolgt von Personen aus Serbien (12), Ukraine (11), Somalia (9), Weissrussland (7) und Afghanistan, Iran, Mazedonien, Nigeria sowie Eritrea (jeweils 5).»

Welches sind die Kriterien, um Flüchtlingen Asyl in Liechtenstein zu gewähren?

Norbert Hemmerle: «Ganz allgemein ist klar zwischen Asylsuchenden und Flüchtlingen zu unterscheiden. Ein Asylsuchender ist eine Person, die ein Asylgesuch gestellt hat. Flüchtling ist man erst, wenn dies durch die zuständige Stelle entschieden wurde. Gemäss Asylgesetz gelten als Flüchtlinge ausländische Personen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich ausserhalb des Staates, dessen Staatszugehörigkeit sie besitzen, befinden und dessen Schutz nicht beanspruchen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht beanspruchen wollen. Ausserdem gelten demzufolge als Flüchtlinge staatenlose Personen, die sich aufgrund der zuvor erwähnten Umstände ausserhalb des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befinden und dorthin nicht zurückkehren können, oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht zurückkehren wollen.»

«Gemäss Asylgesetz ist begründete Furcht vor Verfolgung unter anderem namentlich dann gegeben, wenn die Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit geltend gemacht werden kann, sowie Massnahmen drohen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken.» 

«Gemäss Asylgesetz ist begründete Furcht vor Verfolgung unter anderem namentlich dann gegeben, wenn die Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit geltend gemacht werden kann, sowie Massnahmen drohen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Diese Definition im liechtensteinischen Asylgesetz stützt sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Das Asylverfahren wird vom Ausländer- und Passamt unter Berücksichtigung der vorerwähnten Kriterien durchgeführt. Das Amt legt der Regierung das Asylgesuch nach Abschluss des Verfahrens zur Entscheidung vor. Die Regierung entscheidet anschliessend über die Gewährung, Verweigerung und Beendigung des Asyls und das zuständige Regierungsmitglied entscheidet über die Unzulässigkeit eines Asylgesuchs. Asyl wird einer Person gewährt, wenn sie nachweist oder glaubhaft macht, dass sie Flüchtling ist und keine Verweigerungs- oder Ausschlussgründe vorliegen.»

Haben wir für die Anzahl Flüchtlinge eine Obergrenze oder würden wir unbeschränkt Flüchtlinge aufnehmen?

Norbert Hemmerle: «In Liechtenstein gibt es keine Obergrenze. Bei jedem Asylgesuch, das in Liechtenstein gestellt wird, wird ein rechtsstaatliches Verfahren durchgeführt. Zuerst wird geprüft, ob das Asylgesuch zulässig ist. Wenn ein zulässiges Asylgesuch vorliegt, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Auch in Liechtenstein gilt das in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerte Non-Refoulement-Prinzip, das besagt, dass keiner der vertragschließenden Staaten einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen darf, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen aber, dass viele Asylsuchende in Liechtenstein keine asylrelevanten Anliegen geltend machen können und somit unser Land im Anschluss an das durchgeführte Verfahren wieder verlassen müssen. Der Sachverhalt muss aber in jedem Fall gründlich und individuell abgeklärt werden.»

Wie viele Personen haben 2017 und 2018 um Asyl angesucht? Wie vielen Flüchtlingen ist Asyl gewährt worden und wie viele wurden abgewiesen?

Norbert Hemmerle: «Gemäss Auskunft des Ausländer- und Passamtes (Abteilung Asyl), welches für das Asylverfahren zuständig ist, haben im Jahr 2017 insgesamt 152 Personen in Liechtenstein um Asyl angesucht. Im laufenden Jahr waren es bisher 158 Asylgesuche (Stand per 30.11.2018). Im Jahr 2017 wurde 15 Personen in Liechtenstein Asyl gewährt. 2018 erhielten bisher zwei Personen Asyl.»

Wie lange bleiben die Flüchtlinge in Liechtenstein?

Norbert Hemmerle: «Je nach Dauer und Ausgang der Abklärungen halten sich Asylsuchende kürzer oder länger in unserem Land auf. Mit der Revision des Asylgesetzes, welche anfangs 2017 in Kraft getreten ist, konnte das Asylverfahren unter anderem in der ersten Instanz beschleunigt werden. Darüber hinaus entfiel bei unzulässigen Asylgesuchen eine Rechtsmittelinstanz. Dies führt zu rascheren Verfahren und kürzeren Aufenthaltsdauern. In zahlreichen Fällen nützen die Asylsuchenden allerdings den Beschwerdeweg bis zum Staatsgerichtshof, was dann wiederum zu längeren Aufenthaltsdauern führen kann. Mit einer neuerlichen Revision des Asylgesetzes und des Gesetzes über den Staatsgerichtshof, welche noch in diesem Monat in Kraft tritt, wird dieser Problematik begegnet.»

Haben wir auch Asylsuchende, denen ein unbeschränktes Bleiberecht gewährt wird?

Norbert Hemmerle: «Wenn die Regierung einem Asylsuchenden aufgrund der vorgebrachten Asylgründe Asyl gewährt und ihn als Flüchtling anerkennt, dann erhält die betroffene Person ein Aufenthaltsrecht in Liechtenstein und eine Aufenthaltsbewilligung. Der Aufenthalt des Flüchtlings richtet sich dann nach dem Ausländergesetz, welches für Drittstaatsangehörige gilt. Nach Ablauf einer bestimmten Frist und nach Erfüllung der im Gesetz erwähnten Voraussetzungen kann eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt werden. Es gibt in Liechtenstein verschiedene ehemalige Flüchtlinge, welche heute über eine solche Niederlassungsbewilligung verfügen, z.B. Flüchtlinge, die infolge des Vietnamkrieges vor allem in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in unserem Land um Asyl angesucht haben.»

Wie werden Asylsuchende in Liechtenstein integriert?

Norbert Hemmerle: «Eine Integration hängt im Wesentlichen von guten Deutschkenntnissen ab. Mitarbeitende der Flüchtlingshilfe bieten den Asylsuchenden schon kurz nach ihrem Eintreffen in Liechtenstein eine Erstorientierung und Deutsch-Lernen für Asylsuchende (Sozialisierungskurs) an, damit sich diese im Alltag mit den notwendigen Begriffen verständigen können. Nach einem rechtskräftigen Asylentscheid bzw. nach einem halben Jahr des Aufenthalts in Liechtenstein – wenn das jeweilige Verfahren nicht aussichtslos ist und sich aller Voraussicht nach noch längere Zeit hinziehen wird – erhalten Asylsuchende Deutschkurse auf einem integrativen Niveau, d.h. mit Prüfungsabschluss. Schulpflichtige Kinder werden schon innerhalb von 30 Tagen nach ihrem Eintreffen in Liechtenstein von der Flüchtlingshilfe beim Schulamt zur Einschulung angemeldet. Sobald ein Flüchtling eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Ausländergesetz erhält, unterliegt er auch den dort enthaltenen Integrationsbestimmungen.»

Wie viel investiert der Staat pro Jahr in die Asylsuchenden?

Norbert Hemmerle: «Gemäss Asylgesetz und Asylverordnung haben hilfsbedürftige Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige Anspruch auf Fürsorgeleistungen pro Tag wie folgt: 10 Franken pro Erwachsener; 10 Franken für das erste Kind; 7 Franken für das zweite Kind; 4 Franken für jedes weitere Kind. Die Fürsorgeleistungen können in Form von Lebensmittelgutscheinen abgegeben werden. Zusätzlich kann an Asylsuchende, nach Ablauf einer Frist von sechs Wochen seit Einreichung des Asylgesuchs, sowie an vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige ein Taschengeld pro Tag in Höhe von 4 Franken in bar ausbezahlt werden. Dies gilt nicht für Asylsuchende aus sicheren Drittstaaten.»

Neben den Kosten für die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung der Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen trägt der Staat auch die im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung anfallenden Prämien und Kostenbeteiligungen bei Krankheit und Unfall. Bei zahnärztlichen Behandlungen werden jene Kosten übernommen, welche der Schmerzbehandlung dienen oder aus gesundheitlichen Gründen zwingend notwendig sind. Dafür gibt es aber im Asylgesetz klare Vorgaben. Für die Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden ergaben sich im Jahre 2017 durchschnittliche Kosten pro Person und Tag von 39.52 Franken (inklusive. Gesundheitskosten).»

Gibt es mit den Asylsuchenden auch Probleme, wurden Asylsuchende auch schon straffällig und wie schaut es mit dem Gefahrenpotenzial aus?

Norbert Hemmerle: «Zum überwiegenden Teil halten sich die Asylsuchenden an die bei uns geltenden Regeln, führen sich friedlich auf und sind dankbar für die Aufnahme in Liechtenstein sowie den Schutz und die Hilfe, die ihnen unser Land zukommen lässt. Das Zusammenprallen der unterschiedlichen Kulturen mit den verschiedenen Sprachen und Religionen auf engstem Raum, gekoppelt mit den persönlichen Problemen und Nöten der Flucht, kann auch Konflikte unter den Asylsuchenden auslösen. Glücklicherweise sind solche Auseinandersetzungen selten geworden. Es gibt allerdings von Zeit zu Zeit einzelne Personen, welche in der Regel keine richtigen Asylsuchenden sind, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Meistens sehen diese Menschen eine Chance, in kleinen Diebstählen ihre Lebenssituation in Liechtenstein zu verbessern. Dies wird – wie bei allen Verstössen gegen unsere Gesetze – nicht toleriert und auch in jedem Fall geahndet. Die Sicherheit im Land gewährleistet die Landespolizei, die eng mit den entsprechenden Stellen im Asylwesen zusammenarbeitet. Auch medizinisch werden Asylsuchende von einem Arzt untersucht, so dass auch von dieser Seite kein erkennbares Gefahrenpotenzial ausgeht.»

Wie beurteilt der Präsident der Flüchtlingshilfe die Situation der Flüchtlinge in Liechtenstein?

Norbert Hemmerle: «Nachdem derzeit im Vergleich zu den letzten Jahren weniger Personen in der Betreuung der Flüchtlingshilfe stehen, haben wir jetzt gegen Ende des Jahres eine eher entspannte Situation. Unsere Mitarbeitenden müssen weniger administrative Aufgaben erledigen und haben mehr Zeit für die Betreuung der Asylsuchenden. Das ist gut für die Stimmung unter den Asylsuchenden wie auch für die Mitarbeitenden. Allerdings ist in den letzten Jahren die Zahl der Asylsuchenden um den Jahreswechsel eher angestiegen. Und auch die internationale Lage mit den vielen Menschen auf der Flucht, deutet nicht auf eine andauernde Entspannung hin.»

60PLUS dankt dem Präsidenten der Flüchtlingshilfe Liechtenstein für diese transparente aufschlussreiche Information