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60Plus | Lebensqualität | Dezember, 2018
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Wohnen für Hilfe – Hilfe für Wohnen

von Nancy Barouk-Hasler

Die Vereinsamung, eines der gravierendsten Probleme, dem alte Menschen ausgesetzt sind, belastet nicht nur Psyche und Körper der Betroffenen sondern auch das Gesundheitssystem. In Grossbritannien wurde unlängst – nicht zuletzt mit Blick auf die steigenden Kosten – ein eigenes Ministerium geschaffen, welches Programme gegen dieses negative gesellschaftliche Phänomen initiieren und fördern soll. Eine erstaunlich einfache und – wie unsere Autorin schildert – ebenso wirksame «Methode» setzt an der Tatsache an, dass Seniorinnen und Senioren häufig in für sie unnütz grossen Wohnungen oder Häusern alleine leben.

Meine Mutter ist 82 Jahre alt, geistig und körperlich recht fit, reiselustig und lebt in München. Nachdem mein Stiefvater vor vielen Jahren jung gestorben ist, hatte sie vor vier Jahren das Alleineleben satt. Nach einer Operation benötigte sie auch kurzzeitig Hilfe im Alltag. Während des Krankenhausaufenthaltes entdeckte sie am Schwarzen Brett einen Hinweis auf «Wohnen für Hilfe», das von der Stadt München gefördert wird. Dabei helfen junge Menschen Senioren im Haushalt. Die Senioren bieten dafür ein Zimmer an. Meine Mutter hat nun seit längerer Zeit eine sehr nette Mitbewohnerin und das Zusammenleben klappt wunderbar. Eine Win-win-Situation für beide. Meine Mutter hat eine nette Gesellschafterin und die junge Frau gratis Wohnraum. Sie ergänzen sich gut. Ich habe meine Mutter dazu befragt:

Wie bist du mit der Vermittlungsstelle Wohnen für Hilfe in Kontakt getreten?

Ich habe dort angerufen und einen Termin mit der dortigen Sozialarbeiterin ausgemacht. Sie hat sich meine Wohnung und das zur Verfügung stehende Zimmer angesehen. In der Regel gilt eine Stunde Arbeit im Monat pro Quadratmeter Zimmer. Mein Wunsch war es, eine junge Frau aufzunehmen. Nach kurzer Zeit kamen drei Studentinnen, um sich vorzustellen und das Zimmer zu besichtigen. Die erste war meine Wahl.

Was habt ihr miteinander vereinbart?

Die Vereinbarungen waren Vorschläge der Beraterin der Vermittlungsstelle: Hilfe im Haushalt, Einkaufen, etc., eventuell Begleitung zum Arzt. Keine Pflege. Pflege ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die Mitbewohnerin ersetzt keine Pflegerin oder Krankenschwester.

Hattest du am Anfang Bedenken, eine Mitbewohnerin aufzunehmen?

Bedenken hatte ich keine, denn man vereinbart eine Probezeit. Meine Mitbewohnerin lebt jetzt seit vier Jahren bei mir. Sie hat mittlerweile ihr Studium abgeschlossen und arbeitet jetzt an ihrer ersten festen Stelle. Unsere Lebensgewohnheiten passen scheinbar gut zusammen. Aber es ist nicht die Regel, dass die jungen Mitbewohnerinnen so lange bleiben, sagt die Beraterin der Vermittlungsstelle. Das ist eher die Ausnahme.

Man muss bereit sein, dass beide ein Eigenleben führen können. Aber wir unternehmen auch gelegentlich etwas zusammen, kochen zusammen, gehen zum Beispiel ins Kino, ins Theater oder miteinander in ein Restaurant.

Braucht es viel Toleranz beim Zusammenleben? Wie funktioniert das bei euch?

Man muss bereit sein, dass beide ein Eigenleben führen können. Aber wir unternehmen auch gelegentlich etwas zusammen, kochen zusammen, gehen zum Beispiel ins Kino, ins Theater oder miteinander in ein Restaurant. Manchmal bin ich auch «Lebensberaterin» und meine Mitbewohnerin zeigt mir etwas am Computer.

Denkst du, Wohnen für Hilfe wäre auch ein Modell für Liechtenstein?

Warum nicht? Es ist ein Gewinn für beide Seiten: gegen Vereinsamung der alten Menschen und günstiger Wohnraum für Studierende oder junge Menschen, die sich eine Wohngemeinschaft mit einem älteren Menschen vorstellen können. Es einfach ausprobieren. Und nicht von vornherein misstrauisch sein! Wenn’s nicht passt, trennt man sich halt wieder.

Meine Mutter hat für sich eine ideale Wohnform gefunden, und ich denke mir, dass dies auch ein Modell für Liechtenstein sein könnte. Vor allem für ältere Menschen, die nicht so ein dichtes Beziehungsnetz in der Nähe haben, nicht alleine leben wollen, aber noch rüstig genug sind, um nicht auf Pflege angewiesen zu sein.

Der Seniorenbund führt am 5. Dezember 2018 und am 6. Februar 2019 zum Thema «Wohnen im Alter» Veranstaltungen durch, an denen die Teilnehmer eingeladen sind, Ihre Ideen und Vorstellungen zu Wohnformen im Alter einzubringen.

Was denken Sie? Wäre dies auch ein praktikables Modell für Liechtenstein? Würden Sie so ein Angebot selbst nutzen?

Wenn Sie Interesse haben, ein Zimmer Ihrer Wohnung oder Ihres Hauses einer Studentin, einem Studenten oder einem anderen jungen Menschen anzubieten und im Gegenzug Unterstützung erhalten möchten, können Sie sich an die Informations- und Beratungsstelle Alter (IBA) wenden. Sollten Sie sich allgemein für das Thema Wohnen im Alter interessieren, lohnt ein Blick in das neue Veranstaltungsprogramm des Seniorenbunds. Der Seniorenbund führt am 5. Dezember 2018 und am 6. Februar 2019 zum Thema «Wohnen im Alter» Veranstaltungen durch, an denen die Teilnehmer eingeladen sind, Ihre Ideen und Vorstellungen zu Wohnformen im Alter einzubringen.

Auskünfte und Anmeldung bei Jakob Gstöhl,

Informations- und Beratungsstelle Alter

Austrasse 13, 9490 Vaduz; Tel. +423 230 48 01

Email: iba@seniorenbund.li;

Webseiten:

www.seniorenbund.li/

www.altersfragen.li/www.freiwillig.li

Nancy Barouk-Hasler kommt aus München, lebt seit über 30 Jahren in Liechtenstein, ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Sie ist Diplom-Pädagogin und hat über 20 Jahre im Amt für Soziale Dienste gearbeitet.