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60Plus | Im Blickpunkt | August, 2021
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AHV: Rund um die Rentenerhöhung

Gastbeitrag von Walter Kaufmann, Direktor der AHV-IV-FAK-Anstalten

Bei Einführung der AHV anno 1954 waren die Renten gering. Damals wurde im Gesetz der Jahresbetrag genannt: mindestens CHF 480 und höchstens CHF 1500 pro Jahr für die einfache Rente. Die Mindestrente war also CHF 40 pro Monat. Die Höchstrente war mehr als drei Mal höher, nämlich CHF 125 pro Monat. Ein Weihnachtsgeld gab es damals noch nicht.

Die erste Rentenerhöhung gab es 1960. Damals brauchte es dazu noch einen Landtagsbeschluss. Die Mindestrente war neu CHF 750 pro Jahr. Die Höchstrente betrug nunmehr CHF 1700 im Jahr. Die Mindestrente rückte also näher an die Höchstrente, welche jetzt nur noch 2.3-mal statt 3.1-mal so hoch war wie die Mindestrente.

Die nächste Rentenerhöhung von 1964 führte zum heutigen Verhältnis zwischen Mindest- und Höchstrente, nämlich 1:2. In Franken ausgedrückt: CHF 1200 bzw. CHF 2400 pro Jahr.

Die Reserven der AHV sind in den ersten Jahren stark angestiegen. Ende 1963 besass die AHV ein Vermögen, das fast 20-mal grösser war als die gesamten Ausgaben jenes Jahres.  

Das gab die Möglichkeit, substanzielle Rentenerhöhungen zu gewähren. Der grösste Schritt erfolgte 1973. Die Mindestrente wurde von CHF 2640 auf CHF 4800 pro Jahr erhöht (CHF 400 pro Monat), die Höchstrente von CHF5280 auf CHF 9600 (CHF 800 pro Monat).

Die erste Beitragserhöhung erfolgte 1969. Dennoch hatte die AHV Ende 1973 nur noch 5,9 Jahresausgaben in Reserve.

Damit sind aber die Reserven der AHV zurückgegangen und die Beiträge wurden erhöht. Die erste Beitragserhöhung erfolgte 1969. Dennoch hatte die AHV Ende 1973 nur noch 5,9 Jahresausgaben in Reserve. In der Folge wurden die Beiträge von Versicherten und Arbeitgebern nochmals erhöht. Die Reserven der AHV wuchsen wieder. 

Der letzte Inflationsausgleich, den der Landtag selbst vorgenommen hat, erfolgte durch Beschluss vom 25. November 1981. Er setzte die Mindestrente ab 1982 auf 7440 pro Jahr fest (CHF 620 pro Monat). Auf 1982 hin entschied der Landtag zudem, dass die Höchstrente weiterhin das Doppelte der Mindestrente beträgt.

Ab 1982 dann war es Aufgabe der Regierung, über Rentenerhöhungen zu beschliessen. Der Landtag gab diese Kompetenz an die Regierung. Das Thema Rentenerhöhung sollte so entpolitisiert werden. Der Landtag machte der Regierung aber Vorgaben. Sie hatte die Renten «in der Regel alle zwei Jahre» anzupassen. Die Anpassungen sollten den Mittelwert zwischen der Steigerung des Lohnindex (Steigerung der Löhne) und des Preisindexes (Steigerung der Konsumentenpreise) ausgleichen. Beim Ablauf zur Rentenerhöhung war damals auch die AHV-Anstalt involviert. Rentenerhöhungen erfolgten auf Antrag des AHV-Verwaltungsrates. 2010 wurde diese Aufgabe des AHV-Verwaltungsrates aus dem Gesetz gelöscht. 

Die Rentenerhöhungen der 1980er-Jahre Jahre erfolgten im Zweijahresrhythmus. Anfang der 1990er-Jahre zog die Teuerung stark an. Es kam zu einem Wechsel, nun ging es Schlag auf Schlag: Im Jahre 1991 wurden in den Monaten April und August Teuerungszulagen ausgerichtet. Die nächste Rentenerhöhung erfolge gleich auf 1992 hin, die übernächste auf 1993. 

Es wurde 1994 auf 50% der Dezemberrente und 1998 auf 100% erhöht. Rein rechnerisch waren das Rentenerhöhungen von über 2% bzw. über 4% und zuletzt über 8% pro Jahr.

1992 wurde das Weihnachtsgeld eingeführt, faktisch eine Rentenerhöhung. Das Weihnachtsgeld betrug zunächst 25% der Dezemberrente. Es wurde 1994 auf 50% der Dezemberrente und 1998 auf 100% erhöht. Rein rechnerisch waren das Rentenerhöhungen von über 2% bzw. über 4% und zuletzt über 8% pro Jahr. 1997 wurden ausserdem die Ehepaarrenten zugunsten von Einzelrenten für die Ehegatten abgeschafft – auch dies faktisch eine Rentenerhöhung, denn die individuellen zwei Renten eines Ehepaares waren substantiell höher als die zuvor bezahlte Ehepaarrente. Beide Massnahmen, Weihnachtsgeld und Individualrenten, waren nicht als Teuerungsanpassung gedacht, sondern als Systemverbesserung. Sie wirkten sich faktisch aber deutlich rentenerhöhend aus.

Der eigentliche Inflationsausgleich folgte ab 1993 wieder dem Rhythmus von zwei Jahren. Von 1993 bis 2011 wurde die Rente alle zwei Jahre an die Teuerung angepasst. Die Inflation wurde noch immer so bemessen wie der Gesetzgeber es 1982 festgelegt hatte: als Mittelwert zwischen Lohnsteigerung und Konsumentenpreisanstieg.

Der Staat hatte sich bis dahin sehr grosszügig an den Ausgaben der AHV beteiligt. Der Staatsbeitrag hing bis dahin prozentual an den Jahresausgaben der AHV.

Die letzte Teuerungsanpassung der Renten erfolgte auf 2011 hin. Seither wurden die Renten nicht mehr erhöht. Ausschlaggebend war die Notwendigkeit, den Staatshaushalt zu sanieren. Der Staat hatte sich bis dahin sehr grosszügig an den Ausgaben der AHV beteiligt. Der Staatsbeitrag hing bis dahin prozentual an den Jahresausgaben der AHV. Diese jedoch stiegen deutlich, und zwar mehr als die Einnahmen des Staates. Als der Staatshaushalt saniert werden musste, hat der Gesetzgeber den Staatsbeitrag an die AHV halbiert. Anno 2020 beträgt der Staatsbeitrag ungefähr die Hälfte des früheren Beitrags. Und er wächst nur noch mit der Preisteuerung, er ist nicht mehr an das Ausgabenvolumen der AHV gekoppelt. Immerhin aber: Im Jahre 2020 hat der Gesetzgeber dann doch wieder einen ausserordentlichen Staatsbeitrag an die AHV beschlossen, nämlich satte CHF 100 Mio. zusätzlich zu den üblichen CHF 30 Mio.

Im Jahre 2011 hatte der Landtag unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Einerseits musste er den Staatshaushalt sanieren. Eine der Massnahmen, um das zu erreichen, war die Kürzung des Staatsbeitrags an die AHV. Andererseits aber musste er zugleich sicherstellen, dass mit einer Kürzung des AHV-Staatsbeitrags die AHV nicht zu stark ausgehöhlt wird. Also setzte der Landtag gleichzeitig auch Sparmassnahmen bei der AHV um.

Eine dieser Sparmassnahmen war die Neuregelung der Teuerungsanpassung der Renten. Bisher wurden die Renten stets an den Mittelwert zwischen Lohnsteigerung und Preisteuerung angeglichen. Der Vorteil dieser Regelung war, dass sowohl die Steigerung der Löhne als auch der Preise massgebend war, so dass der Abstand der Renten zu den Löhnen nicht zu gross wurde. Neu hat der Landtag festgesetzt, dass die Renten nur noch an die Inflation der Konsumentenpreise gekoppelt sind. Gleichzeitig hat er die Mindestrente auf CHF 15080 jährlich bzw. die Höchstrente auf CHF 30160 jährlich (beides inklusive Weihnachtsgeld gerechnet) festgesetzt und diesen Wert an einen bestimmten Stand des Konsumentenpreisindexes gebunden.

Die aktuelle Regelung ist folgende: Die Regierung kann die Renten frühestens dann an die Teuerung anpassen, wenn dieser Konsumentenpreisindex den Wert von 103.4 Punkten (Basis Dezember 2015 = 100) übersteigt. Der aktuelle Wert liegt deutlich tiefer, nämlich bei 101.5 Punkten (Durchschnitt der Monate Januar bis Juni 2021). Die Regierung muss die Renten spätestens dann anpassen, wenn der Wert von 106.5 Punkten erreicht ist. Es ist absehbar, dass der Konsumentenpreisindex noch länger unter den oben erwähnten 103.4 Punkten liegen wird.  

Nach der aktuellen Gesetzeslage sind also der Regierung tatsächlich die Hände gebunden. Sie kann von sich aus keine Rentenerhöhung beschliessen. Einzig der Gesetzgeber könnte dies tun. Konkret liegt es also am Landtag, einen entsprechenden Beschluss zu treffen, wenn man die Renten erhöhen will.

Typisch für Liechtenstein: der Vergleich mit dem Nachbarn Schweiz. In Liechtenstein ist die Höchstrente einer Einzelperson im Jahr 2021 bei CHF 30160 im Jahr, für ein Ehepaar bei CHF 60320, beides inklusive Weihnachtsgeld gerechnet. In der Schweiz beträgt die AHV-Rente für eine Einzelperson CHF 28680. Ein Ehepaar bekommt maximal (nur) CHF 43020, weil die Ehepaarrenten in der Schweiz auf 150% gedeckelt sind. Dabei muss man aber berücksichtigen: Das sind die Renten der 1. Säule. Dazu kommen noch Pensionen der 2. Säule. Und letztere sind in der Schweiz eher höher als in Liechtenstein. Das relativiert das Ganze.

Die Regierung hat vor kurzem ein aktualisiertes versicherungstechnisches Gutachten in Auftrag gegeben. Ende 2020 hatte die AHV 11,1 Jahresausgaben in Reserve.

Und wie geht es nun weiter? Das liegt in den Händen des Gesetzgebers. Im Herbst 2021 wird sich der Landtag nochmals mit der langfristigen finanziellen Sicherung der AHV befassen. Derzeitige gesetzliche Vorgabe ist, dass die Reserven der AHV binnen der nächsten 20 Jahre nicht unter 5 Jahresausgaben sinken dürfen. Das letzte versicherungstechnische Gutachten zeigte als Modellrechnung, dass dieser Grenzwert knapp unterschritten werden könnte. Das würde bedeuten, dass der Landtag im Herbst 2021 über Entscheidungen zu beraten hat, die man nicht gerne trifft (Beitragssatzerhöhungen, Kürzung oder Streichung unnötiger Leistungen, Rentenaltererhöhung, Staatsbeitragserhöhung). Gleichzeitig sind aber in der Politik auch Vorstösse zur Erhöhung der AHV-Renten angekündigt. Die Regierung hat vor kurzem ein aktualisiertes versicherungstechnisches Gutachten in Auftrag gegeben. Ende 2020 hatte die AHV 11,1 Jahresausgaben in Reserve. Das Gutachten soll in einer prognostischen Modellrechnung zeigen, wo die AHV in 20 Jahren stehen könnte, wenn man keine Massnahmen trifft. Es soll unter anderem aber zusätzlich auch zeigen, welche finanziellen Konsequenzen es hat, wenn der Landtag die Renten in einem grossen Schritt erhöht.

Was die AHV-Anstalt dem Gesetzgeber und der Regierung dabei mit auf den Weg geben möchte, kommt im Geschäftsbericht 2020 zum Ausdruck. Der Konsumentenpreisindex kann die Lebenshaltungskosten eines Rentners nicht präzise abbilden. Zudem hat der Stillstand bei der Rentenanpassung Nachteile nicht nur für die Rentner, sondern auch für die heute erwerbstätige Bevölkerung. Die Versorgungsquote, das heisst das Verhältnis der Rente zum früheren Lohn, wird ständig kleiner. Wer 2010 pensioniert wurde, erhielt als Höchstrente der AHV einen Betrag, der 39,5% des liechtensteinischen Medianlohns deckte. 2018 hingegen konnte die Höchstrente der AHV nur noch 37,7% des Medianlohns decken. Allgemein galt früher das hehre Ziel, dass man mit den Renteneinkommen im Alter 60% des Lohnes erreichen sollte. Die Löhne sind seit 2010 im Schnitt kontinuierlich gestiegen, die Renten wurden dagegen zuletzt 2011 einmal erhöht, so dass sich diese Versorgungslücke im Alter vergrössert hat. Dies gilt insbesondere für den Mittelstand und die Gutverdiener, weil die Höchstrente anders als früher nur noch doppelt so hoch wie die Mindestrente ist und nicht mehr dreimal so hoch. Dazu kommt, dass «die AHV-Rente» auch für viele andere staatliche Leistungen zugrunde gelegt wird, wenn es um die Berechnung geht. Ein Stillstand bei der Rentenanpassung bedeutet also auch einen Stillstand bei anderen sozialen Leistungen, vor allem für die sozial Schwächeren. Man sieht: Da werden sehr viele unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, der Landtag ist um die Debatte also nicht zu beneiden.

Walter Kaufmann (Jahrgang 1963, Liechtensteiner) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Zürich (1985 bis 1990, Abschluss mit lic. iur.). Von 1990 bis 1996 war er als Mitarbeiter im Rechtsdienst der AHV-IV-FAK-Anstalten tätig. 1996 trat er die Leitung des Rechtsdienstes an. 1997 übernahm er auch die Funktion als Stellvertreter des Direktors. Zudem war er von der Regierung als Vertreter Liechtensteins (für die von den AHV-IV-FAK-Anstalten betreuten Rechtsbereiche) in verschiedenen EWR-Kommissionen im Bereich «Soziale Sicherheit» delegiert. Diese zuletzt bekleideten Funktionen endeten im Jahre 2006 als Walter Kaufmann vom Verwaltungsrat zum Direktor der AHV-IV-FAK-Anstalten bestellt wurde.