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60Plus | Jahreszeiten | April, 2022
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Frühlingserwachen

Von Josef Biedermann

Nach der kalten Jahreszeit freuen wir uns auf den Frühling und das Erwachen der Natur zu neuem Leben, wenn es nach den kalten Wintertagen und der Schneeschmelze beginnt zu grünen und zu blühen. Die Tage werden wieder länger. Mehr Licht fördert unser Wohlbefinden. Wir kennen aber auch die sogenannte «Frühjahrsmüdigkeit». Dagegen hilft es, wenn wir hinaus in die Natur gehen und Zeit an der frischen Luft verbringen. Schon die Benediktinerin, Äbtissin, Dichterin, natur- und heilkundige Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098–1179) weist in ihren Lebensregeln auf die Heilkräfte der Natur hin.

Frühblüher

Zu den ersten Frühlingsboten gehören bei uns die Märzenglöckchen in den Laubwäldern und auf den mageren Wiesen. Ab Februar oder März freuen wir uns über die Blüten der Busch-Windröschen und die violettfarbenen Leberblümchen. Farbe in die Natur bringen auch die gelbblühenden Frühblüher: Der Huflattich an Wegrändern und auf Rüfedämmen, die Sumpf-Dotterblume in nassen Wiesen und an Bachrändern, die Frühlings- und die Wald-Schlüsselblume, einzelne Hahnenfussarten und das Scharbockskraut in Hecken und Baumgärten. Unter hochstämmigen Obstbäumen blüht auch der Lerchensporn mit weissen oder purpurroten Blüten. Bei Waldspaziergängen riechen wir jetzt die intensiven Bärlauch-Blätter, ihre Blütensterne öffnen sich aber erst im Mai. Schon im April können wir die zuerst roten, dann blau bis blaugrün-farbigen Schmetterlingsblüten der Frühlings-Platterbse entdecken und die violett blühenden Veilchen-Arten. Bei einem Spaziergang auf dem Fürstenweg vom Schaaner Forstwerkhof bis zum Waldhotelareal entdecken wir auch die weissen Blüten des Echten Waldmeisters, dessen Blätter für eine Waldmeister-Bowle verwendet werden, und des Turiner Waldmeisters. Neben dem Waldweg fallen die von parallelnervigen Blättern überdachten, hängenden weissen Blütentrauben des Echten und des Vielblütigen Salomonssiegels auf, und auch die zahlreichen aufrecht stehenden Langblättrigen Waldvögelein, die zur Pflanzenfamilie der Orchideen gehören.

Die Frühlingspflanzen können so früh blühen, weil sie über den Winter in ihren unterirdischen Vorratsspeichern Nährstoffe und Energie gespeichert haben, in Zwiebeln, Knollen oder Wurzelstöcken. Die kleinen Waldblumen haben nicht allzu lange Zeit von der Bestäubung bis zur Samenreife. Wenn die Laubbäume ihre Blätter entfalten, lassen sie mit ihren Kronen nur mehr wenig Licht bis zum Waldboden durch. Dann ist die Photosynthese für viele Pflanzenarten im Schatten der belaubten Baumkronen kaum mehr möglich.

Frühlings-Schmetterlinge

Dass es Frühling wird, zeigen auch einzelne Tagfalter an. In der warmen Märzsonne können wir am Waldrand oder über dem Garten Zitronenfalter beobachten, vor allem die zitronengelb gefärbten männlichen Falter. Die Weibchen sind wenig grösser und haben weisse Flügel mit einem lindgrünen Hauch. Auch die ersten Tagpfauenaugen und der Kleine Fuchs fliegen schon im März zu den Blüten, um Nektar zu saugen. Diese drei Schmetterlingsarten überwintern als voll entwickelte Schmetterlinge und werden durch das Licht und die Wärme im Frühling aufgeweckt. Im April fallen die Männchen der kleineren Aurorafalter durch den gut sichtbaren orangefarbenen Fleck auf den Vorderflügeln auf. Wie beim Zitronenfalter sind die Aurorafalter-Weibchen unauffälliger. Leider ist die Artenvielfalt der heimischen Tagfalter stark rückgängig. Mit der intensiven Nutzung unserer Landschaft und dem Verlust von Naturwiesen verschwanden viele Schmetterlinge und die Biodiversität in unserer Kulturlandschaft ist allgemein stark bedroht. Mit der Ökologisierung in der Landwirtschaft und mit einer Vernetzung der wertvollen Lebensräume kann aber die biologische Vielfalt von Flora und Fauna gefördert werden.

Amphibien-Wanderung

An regnerischen Frühlingsabenden erwachen auch Grasfrösche und Erdkröten in ihren Winterverstecken und wandern zu ihren Laichgewässern. Beim Überqueren von Strassen werden viele aber überfahren, wenn sie nicht von Amphibienzäunen zurückgehalten und von Mitarbeitern der Werkhöfe über die Strasse in Richtung der Laichgewässer getragen werden. Mit Schülerinnen und Schülern habe ich in den 1970er-Jahren die ersten Amphibienzäune gebaut und früh am Morgen vor dem Unterricht betreut.

Vogelstimmen im Frühling

Sobald die Tage länger werden, fangen die ersten Vögel wieder an zu singen. Der morgendliche Vogelgesang dient in erster Linie der Revierabgrenzung und der Werbung um ein Weibchen. Die ersten sind die Kohlmeisen, die wir schon Ende Januar in der Nähe vom Futterhäuschen hören können. Auch die Rotkehlchen verbringen den Winter bei uns; ihren feinen melodiösen Gesang hören wir auch im Winterwald. Ab Februar kommen zu den bei uns überwinternden Amseln, Meisen, Buchfinken, Zaunkönigen und Rotkehlchen weitere Vogelarten aus ihren Überwinterungsgebieten und bereichern das Vogelkonzert zusätzlich. Im Februar sind es Stare und Singdrosseln, im März Zilpzalp, Haus- und Gartenrotschwanz, im April der Kuckuck und erst im Mai treffen Mauersegler, Pirol und Nachtigall bei uns ein. Aber aufgrund des starken Rückgangs der Insekten verstummen auch bei uns immer mehr Vögel. Auch hier gilt: Natürliche, vernetzte Landschaftsstrukturen und ökologisch bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen sind für die Artenvielfalt entscheidend, für die Lebensbedingungen von Insekten, Vögeln und Wildkräutern.