von René Steiner
«Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.» Dieses häufig verwendete Sprichwort will uns bekanntlich lehren, aus einem Einzelereignis keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.
Jährliche Wiederkehr
Ornithologen und Vogelliebhaber warten jeden Frühling mit Spannung auf die Rückkehr der ersten Schwalben aus ihren afrikanischen Winterquartieren, die sich vom Südrand der Sahara bis nach Südafrika erstrecken. Anfang bis Mitte April ist es dann meist so weit. Nach der selteneren und deshalb weniger bekannten Felsenschwalbe treffen unsere zwei häufigsten Schwalbenarten in Liechtenstein ein: die Rauchschwalbe und die Mehlschwalbe.
Die Rauchschwalbe
Mit ihren charakteristischen langen Schwanzspiessen ist die Rauchschwalbe die bekannteste unserer Schwalbenarten. Kennzeichnend sind zudem ihre schwarzblaue Oberseite, das rotbraune Gesicht, der dunkle Brustring und die weissliche bis cremefarbene Unterseite. Das anfangs erwähnte Sprichwort geht auf die Beobachtung zurück, dass einzelne Rauchschwalben bereits Mitte März bei uns eintreffen können. In grösserer Anzahl kommen sie aber erst ab Mitte April an.
Seit Jahrhunderten in engster Nachbarschaft mit dem Menschen lebend, gilt sie als Frühlings- und Glücksbringerin.Die Rauchschwalbe brütet bevorzugt in Ställen mit Vieh, gelegentlich auch in Scheunen, Industrie- und Lagerhallen, Bootshäusern, Innenhöfen etc. Von Tieren besetzte Ställe bieten dabei den Vorteil, dass auch bei schlechtem Wetter immer genügend Nahrung in Form von Fliegen zur Verfügung steht.
Beim Nestbau entpuppt sich die Rauchschwalbe als wahre Baumeisterin. Das Nest in Form einer oben offenen Viertelkugel wird aus kalk- und tonhaltigem Erdmaterial gebaut, wobei auch Heu- und Strohhalme eingearbeitet werden. Als Verbindungsmaterial dient Speichel. Rauchschwalben bauen ihre Nester gerne auf Stützen wie Balken, Röhren, Stahlträger, Lampenschirme etc. Der Bau eines Nestes erfordert etwa 750–1400 Erdklümpchen. Rauchschwalben sind keine dichten Koloniebrüter und vertragen Artgenossen im engeren Nestbereich eher schlecht.
Der fortschreitende Strukturwandel in der Landwirtschaft lässt immer mehr traditionelle Betriebe verschwinden. Darunter leidet die Rauchschwalbe und deshalb ist mit einer weiteren Abnahme des Brutbestandes dieser Vogelart zu rechnen.
Die Mehlschwalbe
Die Mehlschwalbe ist unsere häufigste Schwalbenart. Sie ist kleiner als die Rauchschwalbe und hat einen weniger stark gegabelten Schwanz ohne lange Spiesse. Ihre Oberseite ist mit Ausnahme des weissen Bürzelflecks glänzend blauschwarz, die Unterseite reinweiss.
Ursprünglich bewohnte die Mehlschwalbe felsige Landschaften und nistet heute aussen an Gebäuden, wo sie ihre Nester im Winkel zwischen Dachuntersicht und Fassade oder unter Vordächern anbringt. Ihre Verbreitung konzentriert sich deshalb auf den Siedlungsraum. Das Nest besteht aus einer geschlossenen Viertelkugel mit einem halbrunden Einschlupfloch am oberen Ende, gebaut aus bis zu 1500 Kügelchen tonigem Erdmaterial und Speichel. Als Koloniebrüter schätzen die Mehlschwalben enge Nachbarschaft und bauen ihre Nester dicht an dicht. In Südeuropa gibt es noch Ortschaften mit eindrücklichen Ansammlungen von Nestern brütender Mehlschwalben.
Bei uns gehen die Bestände trotz der steten Zunahme des Siedlungsraums bedrohlich zurück. An neuen Gebäuden fehlen oft die zum Nestbau geeigneten Vordächer oder die Lehmkügelchen der Schwalben haften gar nicht mehr an den neuen Fassadenmaterialien. Zudem werden Nester oft mutwillig zerstört, da der Kot der Insektenfresser Hausfassade und Boden verschmutzen kann.
Toleranz ist gefragt
Beide beschriebenen Schwalbenarten leben in unmittelbarer Nähe zum Menschen. Menschliche Tätigkeit und Toleranz sind deshalb für ihr Wohlergehen und ihren Fortbestand entscheidend.
Die rechtliche Situation ist klar: Alle Schwalbenarten sind nach dem Gesetz geschützt. Wer ihr Brutgeschäft stört, macht sich strafbar. Müssen störende Nester unbedingt entfernt werden, so muss das im Winterhalbjahr geschehen.
Hilfe durch Kunstnester
Durch unseren Hang zu sauber aufgeräumten Plätzen mit versiegelten Oberflächen fehlt den Schwalben oft das nötige Baumaterial für den Nestbau. Mehlschwalben wie Rauchschwalben können mit Kunstnestern erfolgreich gefördert werden. Solche künstlichen Nester sind bei der Schweizerischen Vogelwarte und weiteren Anbietern erhältlich (Info: www.vogelwarte.ch).
Für Fragen und Beratungen stehen der Liechtensteinische Ornithologische Landesverband und seine 5 Ortsvereine gerne zur Verfügung. (alle Infos und Kontaktdaten unter «www.lov.li»)
Förderung der Biodiversität als Chance
Der weltweite Rückgang der Artenvielfalt ist auch bei uns im Gang. Alarmierende Schlagworte wie «Insektensterben» schrecken uns auf. Langsam begreifen wir, dass der Erhalt der Biodiversität für uns Menschen überlebenswichtig ist, da wir ein Teil davon sind.
Unsere Gemeinden nehmen sich den Erhalt der Artenvielfalt mehr und mehr zu Herzen. Und so werden Siedlungsräume ökologisch aufgewertet, beispielsweise durch artenreiche Blumenwiesen, Insektenhotels, Hecken, Asthaufen, Kleitierhotels, Ruderalflächen, Steinhaufen und Trockenmauern.
Von diesen Fördermassnahmen für mehr Natur im Siedlungsraum werden mit Sicherheit auch unsere faszinierenden Sommergäste profitieren – die Mehl- und Rauchschwalben.
Wohnhaft in Schaan, ist pensionierter Realschullehrer und setzt sich seit Jahren im Liechtensteinischen Ornithologischen Landesverband und im OV Vaduz für den Natur- und Vogelschutz ein.