von Mathias Ospelt
Im Nachlass des vor einem Jahr verstorbenen Werner Ospelt fand der Autor dieses Beitrags eine Mappe mit verschiedenen bisher unveröffentlichten handschriftlichen Texten rund um die Arbeit im Weinberg anno dazumal. Ein Teil dieser Texte, die leider nicht mehr genau zu datieren sind, stammt von Werner selbst, der bedeutend grössere Teil von seiner Mutter, der Mundartdichterin Ida Ospelt-Amann. In der Frühjahrsausgabe des 60Plus (1/2023) erschien der erste Teil einer Collage, die die handschriftlichen Aufzeichnungen von Mutter und Sohn vereint. Dies ist der zweite und letzte Teil.
Bei genauerer Durchsicht des vorliegenden Materials entsteht der Eindruck, dass Ida Ospelt-Amann durch ihren Sohn Werner zu Beginn der 1980er-Jahre angeregt wurde, ihm Stoff für ein eigenes dichterisches Werk über die Wingertarbeit im Jahresverlauf zu liefern. So finden sich passend zu vielen von Werner verfassten Zeilen von der Mutter gereimte, aber auch ungereimte Textsequenzen. Ausserdem gibt es von ihr drei Gedichtentwürfe, die sich speziell mit der Zeit kurz vor dem Wimmeln, dem Wimmeln an sich und dem Nachklang des Wimmelns beschäftigen. Vermutlich sollten diese Skizzen später zu einem einzigen Text zusammengefügt werden:
(1) «Truba duan riifa,
d Wingert wüaran gschlossa […]»
(ohne Titel)
(2) «s wüard läbig zwöschat da Räba
s Wimmla got los und o s Körbsaträga. […]»
(ohne Titel)
(3) «Ischt der Breemimart verbei,
isch bal s Wimmla a dr Reih. […]
(Titel: Vom Wimmla)
An diesen handschriftlichen Entwürfen lässt sich u. a. auch der Schreibprozess der Mundartdichterin erkennen, die selbst noch mit 80 Jahren eine klare Schrift, erstaunliche Fertigkeit beim Dichten und viel Spass an Lautspielereien aufwies. Ganz egal, ob dabei der eine oder andere Text stilistisch und von den Reimen her noch etwas holtert und poltert.
(1) Truba duan riifa, d Wingert wüaran gschlossa,
ka Mensch goot me ihi, der Trubahirt hät gschossa.
Ma bschlüsst Törli zua
und d Räba wend jätz o iri Rua.
No d Staara flügen, wend o noch dervo.
Met Schüssa tribt der Trubahirt
dia Schelma dervo.
Jätz hät er‘s streng, der armi Maa,
Gass uuf und ab und ummaschüssa,
der ganz gschlaga Tag.
Bal kunnt Trubaschau uf a Trapp,
dor d Wingert deruf und derab –
denn kömma wimmla!
Öchsli duat ma mässa,
wenn‘s Wätter schö blibt, es net vergässa –
denn kamma wimmla.
Bal duan Glocka bimmla!
D Vadozner duan höt wimmla.
Aber a dicki Määlsoppa esst ma noch dervor.
Denn ischt d Schnäll Katrina osser Gfoor.
Läbig wüards jätz i da Räba.
Strammi Börscht duand Körbsa träga,
met Truba voll ufam Rocka,
[gon] si in Torkel bis zor Botta.
Zos Wachters, zos Mechel Sägers,
zos Mölimachers, zos Hauptmanns
und zos Verlinga
zom dia viila Truba bringa.
Ufam Wäg hockän Gofa uf da Muura
Sie bättlan Truba, dia süassa und dia suura.
An guata Zmarend aber mag‘s jätz lida
und ma ka noch a bez beianander bliba.
Heissi Wörscht vom Metzger Amma,
Späck und Törkabrot und suura Käs. Läps zom Trinka. I Gottsnamma!
[…]
Der Winzer duat si erheba,
er wüard vom Gwunder treba.
[…]
Er hät no wella frooga
wägat da Kilo und da Grad, das deua noch plooga.
Im Torkel aber ischäs läbig worda
und er ischt hocka bleba bis am Morga.
Und kunnt dr Suusersunntig
met Suuser zom verpoola,
muascht guat uufpassa, scho wägam vertroola.
(2) s wüard läbig zwöschat da Räba
s Wimmla got los und o s Körbsaträga.
[…]
Der Torkelbomm kund i Bewegig
und Torkler wüaran langsam regig.
Ablass und Bocker git‘s a bez spöter,
drum hemmer derna brava Höcker.
Denn torklen dia Torkler vom Torkla häm zua
und hend weder a Joor lang voram Torkla a Rua!
(3) Vom Wimmla
Ischt der Breemimart verbei,
isch bal s Wimmla a dr Reih.
Im Hiarbscht brucht‘s numma rägna,
liaber met a bez Pföö dia Truba sägna.
Der Trubahirt ischt fescht am Schüssa
und Gätterli duat ma jätz o bschlüüssa.
Niamert darf‘s mee woga,
in Wingert z goo uni frooga.
Kommissio got jätz gi d Wingert dorschtöbera
und do und dört dia Öchsli pröbla.
Hüür sin Truba bsunders schö,
s wüard o an guata Tropfa gee.
Es wüard berota und [ma] duat brechta,
ma deu bal wimmla, ma söll si rechta.
Böttana i da Törkäl muas ma verschwella,
Körbsa und Köbel met Wasser fölla.
Morn denn also got‘s Wimmla a,
dia gross Glocka kündät‘s a.
Törkäl sind offa, s ischt alls parad,
bal kunnt äs us, wöväl Kilo, wöväl Grad.
Glossar:
Ablass:
milder, leicht süsser Rotwein, der vor der abgeschlossenen Gärung «abgelassen», d. h. in Fässer gefüllt wird
Bocker:
Blauburgunder aus dem Bockwingert (Herawingert)
Böttana:
grosse Holzbottiche zum Füllen mit Trauben
Breemimart:
Prämienmarkt. Die Viehprämierung im Herbst nach der Alpabfahrt
Körbsa:
Rückentrage, mit der das Traubengut von der Lese in den Torkel getragen wurde
Läps:
die ausgepressten Trauben werden noch einmal durch die Mühle und in einem Bottich mit Wasser getränkt und Zucker dazu gegeben. Nach der Gärung gibt es daraus einen Bauernwein
Öchsli:
Masseinheit für das Mostgewicht des unvergorenen Traubensaftes
regig:
regsam, rührig
d Schnäll Katrina:
die schnelle Katharina (Durchfall)
ufa Trapp ko:
in Gang kommen
Trubahirt:
Wingerthüter
uni:
ohne
verpoola:
vergeuden? (der Begriff konnte nicht gefunden werden)
verschwella:
ein undichtes Holzgefäss durch Eingiessen von warmem Wasser dicht machen, indem das Holz aufquillt.
Zmarend:
Zvieri
Die Schreibweise wurde grundsätzlich so übernommen, wie sie in den Originaltexten verwendet wurde, manches wurde aber bezüglich einer besseren Lesbarkeit geändert. Dies betrifft Vokallängen, die durch eine Verdoppelung des Vokals vereinheitlich wurden und wodurch Schreibungen wegfielen wie sie in der Standardsprache verwendet werden, um Längen aufzuzeigen («Vokal plus h», «ie» oder «y»). Ebenso wurde «st/sp» nur im Wortinnern als «scht/schp» geschrieben. Am Wortanfang gilt «St/Sp». Das «ck» wurde aufgrund der besseren Lesbarkeit beibehalten.