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60Plus | Interview | Juni, 2024
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«Wir stellen das Verbindende über das Trennende»

von Gabi Eberle

Wann ist ein Mann ein Mann? Der deutsche Musiker Herbert Grönemeyer packte 1984 teils satirisch verschiedene Eigenschaften in seinen Kultsong «Männer»: Wenn er «Geborgenheit geben kann» und «Kriege führt», «furchtbar schlau» und «allzeit bereit» ist. Wenn es um Sorgen und Nöte, Gefühle wie Angst, Verletztsein oder Demütigung geht, tun sich Männer oft schwer, darüber zu sprechen. Seit 2015 unterstützt die Fachstelle für Männerfragen in Schaan bei Problemen mit der Rolle als Mann und Vater, ist Ansprechpartner für Männer, Familien und Paare in den unterschiedlichsten Lebenssituationen, bietet soziale und juristische Hilfe.

Im Gespräch mit Geschäftsführer Hansjörg Frick, Heinrich Senti, Leiter Familien- und Väterhaus, und Rechtsberater Dr. iur. Nicolaus Ruther.

Wie kam es zur Entstehung des Vereins für Männerfragen im Juni 2009?

Hansjörg Frick: Zuvor bestand die von der Stabsstelle für Chancengleichheit gegründete und begleitete Fachgruppe MannsBilder, welcher ich angehörte. Wir wünschten uns mehr Gestaltungsfreiräume und riefen den Verein für Männerfragen ins Leben. Aus anfangs 15 Mitgliedern sind mittlerweile 280 geworden, wovon sich knapp 5 % aktiv im Vorstand, in Arbeits- und Fachgruppen oder organisatorisch engagieren.

Gab es eine spezielle Intention, einen Hauptgrund, euch auf eigene Beine zu stellen?

Hansjörg Frick: Bei meiner damaligen Arbeit in der Schulsozialarbeit stellte ich immer wieder fest, dass die Väter, wenn es schwierig wurde, gefehlt haben, und dachte darüber nach, wie Männer mobilisiert und gestärkt werden könnten. Ein weiterer Punkt war, dass damals das Rechtsberatungsangebot für Männer, deren Koordination beim Verein Netzwerk lag, insgesamt wenig bekannt und nicht ausreichend auf das Verbindende ausgerichtet war. Die Vereinsgründung diente dem Zweck, die Bewusstseinsbildung für die verschiedenen Facetten des Mann-Seins im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderungen sowie die Entwicklung entsprechender Angebote zu fördern. Bei unserer Arbeit ist uns wichtig, das Verbindende, nicht das Trennende ins Zentrum zu stellen.

Die Haltung «Ein Mann, der seine Probleme nicht selbst lösen kann, ist kein Mann», «Wegen diesen paar Männern müssen wir uns keinen Kopf machen» oder «Der Mann muss sich doch wehren können!» begegnete uns immer wieder.

Hattet bzw. habt ihr mit Gegenwind zu kämpfen?

Heinrich Senti: Jein. Gegner in dem Sinne hatten wir nicht, jedoch nur wenige Mitstreiter und spürten in den Folgejahren hie und da auch Widerstände – zum Teil von Frauenorganisationen, zum Teil auch von Politikern. Die Haltung «Ein Mann, der seine Probleme nicht selbst lösen kann, ist kein Mann», «Wegen diesen paar Männern müssen wir uns keinen Kopf machen» oder «Der Mann muss sich doch wehren können!» begegnete uns immer wieder. Dass wir bei Diskussionen belächelt werden, kommt immer mal wieder vor.

Die Fachstelle für Männerfragen besteht seit rund neun Jahren. Wie hat sich eure Arbeit und die Nachfrage nach Beratung entwickelt?

Nicolaus Ruther: Im Laufe der Zeit hat sich die Anzahl an Konsultationen vervierfacht. 2023 führten wir rund 400 Beratungen durch. Themen waren vorwiegend Trennung/Scheidung sowie Unterhaltskosten und Kontaktrecht. Weiters Aufenthalts-, Arbeits- und Strafrecht sowie Diskriminierung und (häusliche) Gewalt. Die Paarberatung ist stark angestiegen; letztes Jahr fanden 25 den Weg zu uns. Und auch das Ausfertigen von Ehe- oder Partnerschaftsverträgen wird vermehrt nachgefragt. Merklich zugenommen hat auch der Trend zur Internationalität, sprich, der Anteil an nicht aus dem deutschsprachigen Kulturraum kommenden Personen mit Migrationshintergrund wird zusehends grösser. Auch die Inanspruchnahme psychologischer Beratung von Männern, die sich in einer akuten Krise befinden, nimmt zu. Dass sich allgemein die Frequenz an Beratungen kontinuierlich erhöht hat, ist erfreulich, stellt uns jedoch vor finanzielle Herausforderungen.

Wie hoch ist für den Klienten der finanzielle Aufwand?

Nicolaus Ruther: Die Erstberatung im Umfang einer Stunde ist kostenlos. Für Mitglieder trägt der Verein zwei Folgeberatungsstunden innerhalb eines Jahres, welche auch anwalterischer Art sein können. Ebenfalls besteht die Möglichkeit der Online-Beratung.

Dieses Jahr wohnten drei Männer bei uns; zweien haben wir Zimmer vermittelt und weitere zwei Anfragen gingen ein.

Wie ist das Familien- und Väterhaus organisiert?

Heinrich Senti: Aus Kosten- und Flexibilitätsgründen stehen uns mehrere Standorte, sprich Apartments und Zimmer zur Verfügung, auf die wir je nach vorliegender Situation unmittelbar zurückgreifen können. Anwohner und Behörden, mit denen wir, wenn erforderlich, zusammenarbeiten, sind informiert. Seit Projektstart 2013 konnten wir 24 Männer beherbergen und erhielten rund 60 Anfragen. Dieses Jahr wohnten drei Männer bei uns; zweien haben wir Zimmer vermittelt und weitere zwei Anfragen gingen ein. Da sich das nächste Männer- und Väterhaus («Zwüschehalt») in Zürich befindet, erhalten wir immer wieder Anfragen aus der Region Rheintal/Graubünden. Meine Tätigkeit, die auf Freiwilligenarbeit basiert, besteht in der Begleitung bei behördlichen Anliegen und im alltäglichen Leben. Bei einem Aufenthalt, welcher sich zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten bewegt, vereinbaren wir eine Kostenbeteiligung, welche die finanzielle Situation des Hilfesuchenden zulässt.

(Häusliche) Gewalt gegen Männer ist ein Tabuthema. In «Zeit online» vom November 2023 war zu lesen: «In fast 30 Prozent der Fälle häuslicher Gewalt in Deutschland sind Männer betroffen.» Wie sieht es in Liechtenstein aus?

Hansjörg Frick: Ebenso. Auch bei uns erleben Männer physische und psychische Gewalt, aber nur wenige melden sich. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist als bei gewaltbetroffenen Frauen. Rollenbilder und Vorurteile – wie vom starken Mann, der sich selbst wehren kann – begünstigen bei den Betroffenen ein Klima des Schweigens und der Scham. Folglich stellt auch das Aufsuchen von Beratungs- und Hilfsangeboten für Männer eine grössere Hürde dar.

Nicolaus Ruther: Bei den rund 15 Fällen, die ich bisher rechtlich betreut habe, hat kein Einziger Anzeige bei der Polizei erstattet. Dadurch entstehen für den Betroffenen bei einem Folgeverfahren taktische Nachteile. Auffallend auch, dass häusliche Gewalt bei Gericht, anders wie bei Frauen, zum Nebenthema erklärt bzw. bagatellisiert wurde. Allgemein nehmen Männer ihre rechtlichen Möglichkeiten vielfach nur unzureichend wahr.

Wenn die Partnerschaft nicht mehr funktioniert, es sich nur noch nach krampfhaftem nebeneinanderher leben anfühlt, ist das Bewusstsein gestiegen, den Mut aufzubringen, nach einem guten Weg zu suchen, sich zu trennen.

Trennungen im Alter sind keine Seltenheit mehr. Nehmen auch Männer und Frauen 60plus eure Dienste in Anspruch?

Nicolaus Ruther: Absolut. 10 Prozent unserer Klienten sind 60plus. Auch 70, 80plus haben schon Rat eingeholt. Trennungen im höheren Alter sind ein Trend, der sich während der vergangenen 10 Jahr abzeichnete. Wenn die Partnerschaft nicht mehr funktioniert, es sich nur noch nach krampfhaftem nebeneinanderher leben anfühlt, ist das Bewusstsein gestiegen, den Mut aufzubringen, nach einem guten Weg zu suchen, sich zu trennen. Manche Paare kommen, um eine respektvolle Trennung zu vollziehen oder finden neue Wege, um ihre Probleme zu lösen. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, da gut zu beraten. Erfreulicherweise haben auch in dieser Altersgruppe die Paarberatungen zugenommen. Gemeinsam eine gangbare Lösung zu finden, ist auch in finanzieller Hinsicht eine kluge Entscheidung.

Bekommt ihr zu euren Beratungen auch Rückmeldung?

Hansjörg Frick: Alle Personen, die unser Beratungsangebot in Anspruch nehmen, werden diesbezüglich zu einer Online-Umfrage eingeladen. Die Ergebnisse dienen uns einerseits zur Qualitätskontrolle, welche Teil der Leistungsvereinbarung mit dem Amt für Soziale Dienste ist, andererseits auch für uns als Dienstleister, um uns in unserer Arbeit verbessern zu können. Ein Beispiel: Bei Umfrage-Start vor drei Jahren war es den Männern «sehr wichtig», dass die Beratung durch eine männliche Person durchgeführt wird. 2023 wurde dieser Punkt der Befragung mehrheitlich mit «weniger wichtig» beantwortet. Eine erfreuliche Entwicklung.

Aktive Vaterschaft ist der Trend der jungen Elterngeneration. Viele Väter wollen mehr Zeit für die Familie und beruflich kürzertreten. Die Umsetzung gestaltet sich schwierig, vorhandene Ansätze in Politik und Wirtschaft sind ausbaufähig. Eure Meinung dazu?

Hansjörg Frick: In unserer Arbeit möchten wir Vaterschaft/Vatersein noch mehr in den Vordergrund rücken. Väter haben eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes, sind Identifikationsfigur mit Vorbildfunktion. Nach wie vor sind Männer gemäss Statistik Vollzeit im Beruf. In Liechtenstein setzt sich die IG Elternzeit dafür ein, dass bei uns eine flexible Elternzeit eingeführt wird, die zum einen diesen Namen verdient und zum anderen die Chancengleichheit fördert. Wir unterstützen das sehr.

Nicolaus Ruther: Erziehung ist Elternsache. Es ist wichtig, dass sich Rahmenbedingungen ändern, dass das Recht auf Teilzeitarbeit ins Bewusstsein übergeht. Der überwiegende Teil der Kita-Kosten zum Beispiel sollte vom Staat übernommen werden.

Hansjörg Frick: Ein Kinderbetreuungsgeld ist anzustreben, d. h. auch Paare, welche die Kita nicht in Anspruch nehmen, sollten das Recht auf finanzielle Unterstützung haben. Gefragt sind Wahlmodelle.

In welcher Form präsentiert ihr euch in der Öffentlichkeit?

Hansjörg Frick: Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein zentraler Punkt unserer Arbeit. Insbesondere, um die Bevölkerung sowie Interessierte über unsere Tätigkeiten, Veranstaltungen oder Wissenswertes zu informieren. Wir engagieren uns unter anderem im internationalen Erasmus-Projekt Helpmen, wo es um Männergesundheit geht. Hier erscheint demnächst ein wertvolles Tool (Homepage) für Beratende und Männer. Ein weiteres Projekt, an dem wir beteiligt sind und im Austausch mit verschiedenen Ländern stehen, ist «Gewaltschutz für Männer». Nach 2022 sind wir im September dieses Jahres zum zweiten Mal mit einem Infostand zum Thema Männergesundheit an der LIHGA in Schaan vertreten. Wie bereits erwähnt möchten wir das Thema Vatersein/Vaterschaft künftig noch stärker in den Fokus rücken, haben dazu im vergangenen Jahr zum Beispiel eine Veranstaltung im Haus Gutenberg, «Vatersein kann man nicht von Müttern lernen», angeboten. Dann gibt es noch unseren «Leporello» Infoflyer, welcher Infos zum Verein und der Fachstelle beinhaltet, unseren Newsletter und auch auf Instagram, Facebook und LinkedIn ist «Männerfragen» präsent. Neu erscheinen wir auch auch auf TikTok.

Was steht aktuell an?

Hansjörg Frick: Zum einen freuen wir uns, dass wir ab der Mitgliederversammlung vom 17. Juni in Vorstand und Geschäftsstelle unterschiedliche Personen haben werden! Zum anderen stehen wir weiterhin vor der grossen Herausforderung, unsere Dienstleistungen zu finanzieren. Wir sind auf Unterstützung – auch von Privaten, Stiftungen, … – angewiesen.

Kontakt/Infos

Feldkircher Strasse 50, Schaan

Tel. +423 794 97 00, E-Mail info@maennerfragen.li

www.maennerfragen.li

Facebook, LinkedIn, Instagram, TikTok

Die Erstberatung im Umfang einer Stunde ist kostenlos. Für Mitglieder trägt der Verein zwei Folgeberatungsstunden innerhalb eines Jahres.

Vom 13. bis 21. September 2024 ist «Männerfragen» mit einem Infostand an der LIHGA in Schaan im Rahmen der Sonderschau «Gesundheit» in Halle 1 vertreten.