Neue Wohnformen für’s Alter. Von Elisabeth Seger
33 % der über 65-Jährigen in der Schweiz leben allein auf durchschnittlich 90 Quadratmetern, sehr oft in Einfamilienhäusern. In Liechtenstein wird das nicht viel anders sein. Die meisten möchten in ihren eigenen vier Wänden bleiben. Die Wohnungen und Einfamilienhäuser sind aber zu gross für eine oder zwei Personen, haben zu viele Treppen und Schwellen, Badezimmer mit grosser Badewanne statt ebenerdiger Dusche. Viele ältere Menschen möchten gut aufgehoben sein in einem sozialen Umfeld und die Möglichkeit einer Betreuung haben.
Früher wurde das ganz selbstverständlich von den Familien übernommen. Doch hier hat der Wandel Einzug gehalten, auch in Liechtenstein. Ältere Menschen möchten weiterhin in ihren Dörfern leben, «wo ma mi kennt», wo es Begegnungsräume gibt, öffentlichen Verkehr, Einkaufsmöglichkeiten vor der Haustüre. Dann könnte man sogar den Führerausweis abgeben.
Residenza St. Joseph, Ilanz
Ein gelungenes Beispiel, wo vier Generationen nebeneinander wohnen. 61 Wohnungen insgesamt, 13 im umgebauten Klostergebäude, die restlichen im Neubau. Ein Jahr nach der Eröffnung sind alle Wohnungen vermietet. Auch Jüngere, die sich noch in der Erwerbsphase befinden, sind eingezogen – wegen der Wohnqualität, den Freizeitmöglichkeiten und nicht zuletzt wegen den moderaten Mietpreisen und der Gästewohnung.
Eine Mitarbeiterin kümmert sich um gemeinsame Aktivitäten: Kochgruppe, Hilfe mit Auto, Kartenspielen, Bocciaturnier, Filmabende. Diese Angebote werden bisher nur zögernd angenommen. Es braucht Zeit, Geduld, Austausch und direktes Gespräch, bis eine Gemeinschaft entsteht. Leonie Poch vom ETH Wohnforum sagt dazu:
«Die Generationenwohnprojekte, welche beim Miteinander den Schwerpunkt nicht auf das Alter gelegt, sondern einfach gemeinsame Interessen gefördert haben, etwa durch Gemeinschaftsgärten oder gemeinschaftlich genutzte Räume, funktionieren am besten. Wichtig ist, dass die Gemeinschaft nicht nur in den ersten Jahren betreut wird. Die sozialen Prozesse müssen nicht nur aufgegleist, sondern langfristig betreut werden.»
«Kümmerin vor Ort»
In Freising/Bayern, früher über viele Jahre mein Wohnort, habe ich eine solche Betreuerin gefunden und interviewt:
«‹Als Kümmerin vor Ort› des Mehrgenerationenhauses zeige ich seit 2022 Präsenz, als die erste der 111 Wohnungen bezogen wurde. Es gibt meinerseits ein niederschwelliges Angebot an sozialpädagogischen Beratungen und Mediation. Regelmässige oder einmalige Aktionen von freiwillig Engagierten aus der Mieterschaft und mir sind fester Bestandteil. Ich informiere mit Aushängen an den Bürofenstern. Wichtig ist, dass mich alle kennen und ich mit allen im steten Kontakt stehe. Für ein langfristiges Miteinander ist es das A und O, dass das Konzept bereits vor dem Einzug bewusst gewünscht und nachgefragt wird. Freiwilligkeit ist oberste Priorität.
Meine Angebote werden von der Mieterschaft seit Längerem weitergetragen. Es gibt Mini-, kleinere und grössere Gruppen und auch solche, die sich ausserhalb der Wohnanlage treffen. Die Angebote reichen von Lesen, Deutsch lernen, Canasta-Runde bis zum gemeinsamen Krafttraining. Seit Anfang bringe ich die Generationen zusammen und möchte niemanden mit altersspezifischen Angeboten ausschliessen. Es darf auch ein Seniorentreff oder eine Kinderspielgruppe geben. Das Interesse ist da. Die Kontakte werden gepflegt und es findet ein ausgeglichenes Geben und Nehmen statt. In den zwei Jahren gab es etliche Angebote, wo Menschen mit 70 Jahren Altersunterschied dicht nebeneinanderstanden. Die Gemeinschaftsräume sind unterschiedlich ausgestattet: Im 4. Stock bietet ein grosser Raum Platz zum Feiern und Indoor-Sport. Im Erdgeschoss befindet sich eine kleine Werkstatt. Nebenan ist ein sogenanntes Klavierzimmer mit Sofas und einem Beamer, wo Fotos grossformatig angeschaut und Filmabende veranstaltet werden können. Herzstück der Gemeinschaftsräume ist ein geräumiger Café-Raum mit Küchenzeile und mobilen Aussensitzmöglichkeiten.»
Mehrgenerationenhäuser in Liechtenstein
Haus Sozialfonds Kreuz, Eschen (seit September 2020) 11 Wohnungen, 2 ½- bis 3 ½- Zimmer-Wohnungen. Zurzeit sind alle besetzt (Warteliste mit 18 Personen). Es ist ein gesunder Mix zwischen älteren und jüngeren Personen. Alle Wohnungen sind barrierefrei, zentral gelegen. Die Bewohner und Bewohnerinnen kennen sich zum Teil bereits. Das «PAP» im gleichen Haus, am St. Martins-Ring, ist sozusagen der Aufenthaltsraum für alle. (Infos von Matthias Ritter, Geschäftsführer Stiftung Sozialfonds)
Mehrgenerationenhaus Ruggell. Träger: Stiftung Sozialfonds und LAK (Baubeginn 2026) Geplant: 12 Wohnungen mit 2 ½ bis 3 ½ Zimmern. Zielgruppe: 50plus, keine Familien mit Kindern. Im Haus soll es eine Arztpraxis und eine Physiotherapiepraxis geben. Diverse zusätzliche Leistungen für die Bewohner und Bewohnerinnen können eingekauft werden. Auch hier besteht bereits eine hohe Nachfrage.
Drei-Generationenhaus, Schaanerstrasse, Vaduz (in Planung) 7 Eigentumswohnungen, 4½- und 5 ½-Zimmer-Wohnungen. Die drei kleineren Wohnungen sind für Senioren gedacht. Zwei davon sind bereits angefragt. Bauherr: Verling Architekten AG. Infos: www.drei-generationenwohnen.li
Interessierte gesucht
Architekt Stefan Verling sucht Interessierte für ein weiteres Mehrgenerationen-Projekt in Liechtenstein. Ziel ist es, gemeinsam zu «fantasieren» und ein Leitbild zu entwickeln, das sowohl das Zusammenleben und die Umsetzung des Projektes definiert. Gleichzeitig soll ein passender Ort für die Realisierung gefunden werden. Solche Projekte entstehen am besten aus der Gemeinschaft heraus, da die räumlichen Anforderungen stark von den Wünschen der Beteiligten abhängen und nicht vollständig von einem Entwickler vorgegeben werden können. Wer mitgestalten möchte, kann sich auf Mehrgenerationenwohnen.li eintragen.
Mehrgenerationen-Wohnen in Vaduz – wann wohl?
Als Bürgerin von Vaduz interessiere ich mich natürlich für altersgerechte Wohnungen vor Ort.
Derzeit leben 839 Männer und 966 Frauen zwischen 60 und 85 Jahren in Vaduz – da müsste sich doch eine ausreichende Anzahl an Interessierten für eine neue, altersgerechte Wohnform finden.
Ich nahm die Sache selbst in die Hand und vereinbarte einen Termin mit Bürgermeister Florian Meier. Erfreulicherweise hatte ich den Eindruck, offene Türen einzurennen. Dennoch bleiben mir Zweifel, ob ich es noch erleben werde, rechtzeitig in einen zukunftsorientierten neuen Lebensraum einziehen zu können.
Florian Meier, Bürgermeister von Vaduz, dazu:
«In Vaduz soll es eine gute Durchmischung verschiedener Generationen geben, die miteinander leben – eine Ansiedlung und Separierung von älteren Menschen in ein eigenes Gebiet sehe ich problematisch. Es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Liegenschaft des Landesspitals und der Umgebung befasst. Aufgrund des abzuwartenden Entscheids betreffend Spitalneubau konnten die Gespräche erst kürzlich wieder aufgenommen werden.
Im Frühling sollen der neuen Arbeitsgruppe die bisherigen Beschlüsse und mögliche Projekte vorgelegt sowie die nächsten Schritte – darunter die Information an den Gemeinderat – definiert werden. Eine erweiterte Arbeitsgruppe wird sich dann weiter damit befassen.
Grundsätzlich wäre es denkbar, dass die Gemeinde ein Baurecht mit Auflagen für ein neues Wohnprojekt vergibt oder selbst etwas realisiert. Bestehende Gemeindewohnungen könnten zudem altersgerecht umgebaut werden. Auch die Belebung des Städtles könnte durch altersgerechtes Wohnen gefördert werden.»
Mut für neue Gemeinschaften
Ein gutes soziales Umfeld bedeutet viel Lebensqualität. Wenn Generationenwohnen von Jung und Alt gemeinsam gedacht, geplant und gelebt wird, kann das ein grosser Mehrwert für alle sein.
Wenn ältere Personen den Mut haben, ihre grossen Einfamilienhäuser freizugeben, bekommen junge Familien kostengünstigen Wohnraum. Die älteren Menschen gewinnen durch soziale Kontakte «Tür an Tür», durch eine sichere, seniorengerechte Wohnung und die Möglichkeit einer Betreuung in ihrem Zuhause. Wenn wir die Synergien aller Beteiligten, von Gemeinden, Land und Geldgebern bündeln, könnten auch in Liechtenstein neue Wohnformen entstehen, die in unsere Gemeinde, unser Land passen. Ich jedenfalls bin gespannt.