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60Plus | Interview | Juni, 2025
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«Ich lege grossen Wert auf Vertrauen und schätze Handschlagqualität»

von Gabi Eberle

Der Empfang in ihrem Büro im 2. Stock des Regierungsgebäudes in Vaduz ist herzlich, das Gespräch unkompliziert. Klar in ihren Aussagen und Überzeugungen zeigt sich Brigitte Haas liberal, progressiv, mit Herzblut für ihre Heimat und deren Bevölkerung. Die Schweizer Handelszeitung «Bilanz» bezeichnete ihre Wahl zu Liechtensteins erster weiblicher Regierungschefin als «echte Sensation». Als Juristin, langjährige Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer LIHK, mit Mandaten im Bildungs-, Wirtschafts-, Politik- und Kulturbereich, verfügt die 60-jährige Praktikerin über ein breites Netzwerk im In- und Ausland. Neben ihrer Berufserfahrung und menschlichen Nahbarkeit beste Voraussetzung, um künftige politische Richtungsentscheidungen klug und wegweisend zu treffen.

«Glücklicherweise kann ich einen gut gefüllten Rucksack an Erfahrung mitbringen, welchen ich nun für unser Land nutzen kann und der eine gewisse Sicherheit in dieser unsicheren Zeit gibt.»

Frau Haas, Sie sind seit 10. April 2025 Liechtensteins Regierungschefin. Wie fühlen Sie sich rund zwei Monate nach Amtsantritt?

Brigitte Haas: Ich fühle mich sehr gut. Mein Einstieg war spannend wie herausfordernd, denn seit meinem Entschluss, als Regierungschefin zu kandidieren, hat sich die Welt geopolitisch erneut verändert. Es ist zu erwarten, dass die Herausforderungen künftig nicht weniger werden. Glücklicherweise kann ich einen gut gefüllten Rucksack an Erfahrung mitbringen, welchen ich nun für unser Land nutzen kann und der eine gewisse Sicherheit in dieser unsicheren Zeit gibt. Es gilt, mit Bedacht vorwärtszuschauen. Gemeinsam mit meinem hervorragenden, erfahrenen Team und den Regierungsmitgliedern auf ein Ziel hinzuarbeiten – dass es unserer Heimat Liechtenstein weiterhin gut geht, wir die Stabilität in dieser unsicheren Zeit halten und uns weiterentwickeln können –, ist mir eine Freude und Ehre zugleich.

Und wie geht es Ihrem Ehemann Hubert Ospelt, der nun, streng nach Protokoll, zwei Schritte hinter der Regierungschefin geht? Trägt er Ihr politisches Engagement zur Gänze mit? Was hat sich für Sie beide als Ehepaar geändert?

Der «First Gentlemen», wie es, so habe ich mir sagen lassen, im Englischen heisst (lacht), trägt mein politisches Engagement voll und ganz mit – und wir gehen selbstverständlich nebeneinander, wie schon immer in unserem gemeinsamen Leben. Er hat mich von Beginn weg bzw. während meines Entscheidungsprozesses hinsichtlich einer Kandidatur bestärkt und unterstützt. Generell steht mir natürlich weniger freie Zeit zur Verfügung. Mein Mann, offiziell pensioniert, ist nach wie vor leidenschaftlicher Architekt und Raumplaner und in der Kunst tätig. Wir fühlen uns wohl, sind ein eingespieltes Team und geniessen die gemeinsame Zeit. Was bei mir zu kurz kommt, ist der Sport, wobei ich schaue, nach wie vor möglichst viele Wege mit dem Fahrrad oder zu Fuss zurückzulegen. Glücklicherweise ist mein Energiehaushalt allgemein in guter Balance (lacht).

Sie sind in Schaan aufgewachsen. Ihr Vater war gemeinsam mit Ihrem Onkel Inhaber einer eines klassischen kleinen Gebrauchs- und Kunsthandwerk-Betriebs in Schaan. Wie ist es um Ihr handwerkliches bzw. gestalterisches Geschick bestellt?

Diesbezüglich ist mein jüngerer Bruder als gelernter Töpfer um vieles begabter als ich. Bis zur Schliessung der Keramik Haas waren er wie auch meine Mutter und meine Gotta mit Leidenschaft und Kreativität im Familienbetrieb tätig. Ich genoss als Kind das rege Kommen und Gehen im Geschäft, das kunsthandwerkliche Talent hingegen schwappte nicht auf mich über (lacht).

«Ich war und bin nach wie vor der Auffassung, dass gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Zusammenhalt Voraussetzung für ein starkes, widerstandsfähiges Land ist, was künftig gerade auch im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit und Stabilität von grosser Bedeutung sein wird.»

Das war wohl Vorsehung, denn sonst wären Sie heute nicht Liechtensteins Regierungschefin …

Von 2019-2025 waren Sie Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer. Wo profitieren Sie von den Erfahrungen aus diesen Jahren?

Die Erfahrungen aus diesen Jahren sind eine hervorragende Grundlage für meine jetzige Aufgabe als Regierungschefin. Meine Tätigkeit bei der LIHK als Arbeitgeberorganisation inkludierte eine enge Zusammenarbeit mit der Politik, u. a. in Bereichen wie Soziales, Bildung, Aufenthaltsrecht oder Finanzen, durch die Vernetzung mit den schweizerischen Industriekammern, der EFTA und dem EWR oder anderen internationalen Organisationen. Ich war und bin nach wie vor der Auffassung, dass gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Zusammenhalt Voraussetzung für ein starkes, widerstandsfähiges Land ist, was künftig gerade auch im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit und Stabilität von grosser Bedeutung sein wird. Die Wirtschaft braucht neben politischer Verlässlichkeit entsprechende Rahmenbedingungen, um gut arbeiten und infolgedessen Arbeitsplätze bieten zu können, damit die Menschen im Land ein gutes Auskommen haben.

Was kann Ihr Lächeln trüben oder Sie aus der Fassung bringen?

Ich lege grossen Wert auf Vertrauen und schätze Handschlagqualität – eine Stärke, über die wir in Liechtenstein nach wie vor verfügen. Wenn dies nicht eingehalten wird, trifft mich das tief – was glücklicherweise sehr selten vorkommt. Und mit Augenzwinkern: Bei Hunger kann ich durchaus «unleidig» werden…

In Ihrer künftigen Arbeit wird es nicht immer harmonisch zugehen. Wie reagieren Sie bei Konflikten?

Unangenehme Situationen sind manchmal unvermeidbar. Um nicht unnötig Energie zu verschwenden, überlege ich mir als Erstes, wie wichtig die Sache für mich ist, versuche, nicht aus dem Moment heraus zu reagieren, sondern das betreffende Thema mit Abstand zu betrachten – was mir meist, aber natürlich nicht immer gelingt. Meine Meinung äussere ich klar, aber in respektvollem Ton. Wichtig ist, Konflikte lösungsorientiert anzugehen, damit beide Seiten mit dem Resultat leben können.

Gibt es politische Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?

Da nenne ich aus voller Überzeugung unseren ehemaligen Regierungschef Hans Brunhart. In meinen Augen ein echter Staatsmann und Herzblut-Politiker, der mutige Entscheidungen getroffen und damit unser Land in seiner Entwicklung entscheidend vorangebracht hat. Seine aufmerksame, wertschätzende Persönlichkeit hat mir immer imponiert.

Die Landesrechnung 2024 schloss mit einem Gewinn von CHF 333 Mio. in der Erfolgsrechnung sowie einer Mittelzunahme von CHF 298 Mio. in der Gesamtrechnung deutlich besser ab als im Voranschlag prognostiziert.

Zuständig für das Ministerium für Präsidiales (Regierungs- und Verwaltungsorganisation, Personalangelegenheiten und staatliche Informationstätigkeit) und Finanzen könn(t)en Sie nun ja mit grosser Kelle austeilen …

Dass die Landesrechnung per 31.12.2024 so positiv abgeschlossen hat, ist erfreulich. Dieses Finanzergebnis würde sich zum heutigen Zeitpunkt jedoch bereits etwas anders präsentieren. Es ist in diesem Jahr mit einem Rückgang bei den Erträgen gegenüber dem Vorjahr zu rechnen, die Aufwände steigen, zudem sind die konjunkturellen Aussichten infolge internationaler handels- und wirtschaftspolitischer Spannungen von erheblicher Unsicherheit geprägt. Für die Prognose, dass sich der bestehende Handelskonflikt eher noch zuspitzen könnte, muss kein Orakel befragt werden. Die US-Importzölle sind Fakt. Von den gegenüber Liechtenstein angekündigten 37 % sind 10 % bereits zu verzeichnen, was auch bei unserer Wirtschaft Spuren hinterlässt. Konjunkturumfragen vom Amt für Statistik und Liechtenstein-Institut zeigen, dass unsere Wirtschaft zurückhaltender ist. Deshalb ist es hinsichtlich unseres Exports und auch Finanzplatzes von grosser Wichtigkeit, dass Liechtenstein mit seinen Nachbarn, mit Europa und der Welt, deren Teil wir sind, vernetzt und anerkannt bleibt. Geopolitisch herrschen schwierige Zeiten vor. Hinzu kommt der demografische Wandel. Eine sorgfältige, vorausschauende Haushaltspolitik ist deshalb weiterhin von zentraler Bedeutung.

Fürst Hans-Adam II. legte grossen Wert auf die Eigenständigkeit bzw. Souveränität des Landes und das Selbstbestimmungsrecht des liechtensteinischen Volkes. Ist dies auch Ihr Bestreben?

Ja, ohne Zweifel. Eigenständigkeit heisst für unser Land gleichzeitig, im Verbund mit anderen zu sein, Teil eines grossen Ganzen zu sein, die eigenen Stärken zu kennen, engagiert zu bleiben und so einen Teil zur Gemeinschaft der Staaten beizutragen.

Sie sitzen an einem der einflussreichsten politischen Schalthebel Liechtensteins, lenken die Geschicke des Landes und seiner Bevölkerung. Auf welchen Themen liegt Ihr Fokus?

Eines meiner grössten Ziele ist es, die Sicherheit im Innern und gegenüber aussen zu gewährleisten, selbstverständlich auch in finanzieller Hinsicht. Diesbezüglich ist auch der soziale Zusammenhalt von grösster Bedeutung. Im Verbund ist der Mensch stärker, was schlussendlich auch die Gesellschaft als Ganzes stärkt und widerstandsfähig macht. Die Politik hat hier eine grosse eine Aufgabe, gleichzeitig steht jeder Einzelne in der Verantwortung.

Das Sternzeichen Steinbock, in welchem Sie geboren sind, gilt als fleissig, sich selten verzettelnd, verfügt über Durchhaltevermögen und erledigt Dinge gerne nach eigenen Vorstellungen und Plänen, gelangt mit Ruhe und Beharrlichkeit in kleinen, aber effizienten Schritten zum Ziel. Erkennen Sie sich wieder?

Sternzeichen sind für mich nicht mehr als eine schöne Geschichte. Zugegebenermassen trifft hier aber doch das meiste auf mich zu. Ausser beim «zu vieles gleichzeitig zu wollen» … da besteht noch Entwicklungspotenzial (lacht).

«Dieses Finanzergebnis würde sich zum heutigen Zeitpunkt jedoch bereits etwas anders präsentieren.»

Ihr Auftritt wird künftig von allen Seiten beäugt. Wie halten Sie es mit Designergarderobe und Besuchen beim Starcoiffeur?

Dahingehend wird sich bei mir nichts ändern. Mit meiner langjährigen Friseurin bin ich in jeder Hinsicht sehr zufrieden (lacht), kaufe Bekleidung ein, wo es sich ergibt, schätze gute Qualität und trage meine Sachen, meist klassisch gehalten, gerne aus.

Zwei Mal L: Landesspital – nach den neuerlichen Querelen hinsichtlich eines Neubaus ist das Mass für zahlreiche Abgeordnete aller Fraktionen voll. Sie forderten in der Landtagssitzung vom 7. Mai 2025 Konsequenzen. Am 27. Mai dann die Meldung in der FL-Presse: Sandra Copeland tritt per Ende Juni 2025 von all ihren Funktionen als Spitaldirektorin zurück. Die Trennung erfolgt in gegenseitigem Einvernehmen. Was sagen Sie dazu?

Das Thema Landesspital ist in vielerlei Hinsicht ein schwierigeres. Wir als neue Regierung werden sehr genau hinschauen und sind uns bewusst, dass hier zuerst das Vertrauen wieder aufgebaut werden muss. Wir setzen uns deshalb seit dem ersten Tag unserer Amtszeit intensiv mit der äusserst komplexen Thematik auseinander. Unser Ziel ist es, ein gutes, funktionierendes Spital im vorgesehenen Kostenrahmen zu bauen – also das umzusetzen, was die Bevölkerung erwartet.

Das zweite L betrifft die Landesbibliothek: Am 18. Mai sagte Vaduz mit 64,8 Prozent klar Ja zu deren finanzieller Unterstützung. Sind Sie zufrieden mit dem Abstimmungsausgang?

Oh ja. Es gibt ja nichts Wertvolleres als Bücher zu lesen! Ich war von Beginn an eine Unterstützerin der Idee, die Landesbibliothek als kulturellen Treffpunkt im Zentrum von Vaduz anzusiedeln. Auch die Tatsache, dass man die bestehende Bausubstanz zu Teilen weiterverwenden kann, macht aus Nachhaltigkeitsgründen Sinn. Der Abstimmungsausgang in Vaduz hat mich deshalb sehr gefreut. Nun hoffe ich, dass es zügig vorangehen kann.

Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt. Folglich werden immer mehr Menschen pflegebedürftig, die Hinaufsetzung des AHV-Alters ist gemäss AHV-Direktor Walter Kaufmann lediglich eine Frage der Zeit. Wie ist diesen Herausforderungen zu begegnen?

Wichtig ist, dass wir diesen offen und früh genug gegenübertreten und trotz einer noch gut gefüllten AHV-Kasse keine Vogel-Strauss-Politik betreiben. AHV wie Regierung haben ein gutes Auge auf die diesbezügliche Entwicklung. Zudem gibt eine bestehende gesetzliche Bestimmung vor, dass gewisse Kernelemente eingehalten werden müssen. Viele Arbeitnehmende 60plus sind gerne berufstätig, weshalb hinsichtlich Altersrücktritt künftig noch mehr Flexibilität angestrebt, betreffend Arbeitszeitreduktion mehr Möglichkeiten geboten und individuelle Kompetenzen entgegenkommend einsetzt werden sollten. Hier steht einerseits die Regierung vor einer grossen Aufgabe, andererseits können sich die Arbeitgeber und auch die ältere Generation der Eigenverantwortung nicht entziehen. Neue Modelle und ein freieres Denken im Hinblick darauf, auch im höheren Alter im Arbeitsleben zu bleiben, sind gefragt – physische und psychische Gesundheit natürlich vorausgesetzt.

Mit Ihnen und Regierungschef-Stellvertreterin Sabine Monauni sind erstmals zwei Frauen an obersten politischen Positionen – ganz ohne Quotenregelung. Sind Sie Befürworterin oder Gegnerin einer solchen formellen Vereinbarung?

Meiner Ansicht nach ist eine Quotenregelung überholt. Letztendlich kommt es bei einer Bewerbung nicht auf das Geschlecht, sondern auf die Qualifikation und Persönlichkeit an.

Vielen Dank, Frau Regierungschefin Haas, für das Gespräch!

Zur Person

Studium der Rechte an der Universität Zürich mit Lizentiatsabschluss lic.iur. 2019–2025 Geschäftsführerin Liecht. Industrie- und Handelskammer, zuvor Stv. Geschäftsführerin. Mitglied des Parteipräsidiums der Vaterländischen Union. Frühere nebenberufliche Mandate:

  • Vizepräsidentin TAK Theater Liechtenstein, Vorstandsmitglied
  • Historischer Verein für das FL
  • Mitglied der Berufsmaturakommission
  • Vorstandsmitglied Frauenhaus FL