Aus für Radio Liechtenstein
von Marcus Büchel
Über allen Gipfeln Ist Ruh’, In allen Wipfeln Spürest Du Kaum einen Hauch; Die Vogelei schweigen im Walde. Warte nur! Balde Ruhest du auch. (Goethes «Wanderers Nachtlied»)
Am 3. April 2025 wurde – so die in technische Sprache gekleidete Verlautbarung – der «Sendebetrieb von Radio L eingestellt». In Tat und Wahrheit verstummte die Stimme Liechtensteins. Zu hören waren nur noch die ergreifenden Worte, mit denen sich die bisherigen Mitarbeiter von den Zuhörern verabschiedeten. Der Abgesang der Radiomacher auf ihren Sender war in Dauerschleife zu hören.
Wie plötzlich eintretende Totenstille im Wald1 wurde das Verstummen des Radios von Vielen als beklemmend empfunden. Selbst Menschen, die ihre Aufmerksamkeit sonst kaum Radio L zuwandten, äusserten Unverständnis und Bedauern. Beflügelnd wirkte das Abstimmungsergebnis vom 27. Oktober nicht, eher senkte sich Trauerflor über die Stimmung im Land. Man mochte sich trösten: Stimmungslagen pflegen zu schwanken, das Tief werde bald abklingen. Dennoch stellt sich die grundlegende Frage: Was ist das für ein Staat, der im Wortsinn stimmlos ist?
Es wurde nicht einfach das Radio abgeschaltet: Zerstört wurde aufgrund der knappen Annahme der Initiative zur Abschaffung des Rundfunkgesetzes mit dem Landessender eine zentrale öffentliche Einrichtung. Man muss es wohl als Systemversagen ansehen, dass das einzige öffentliche rechtliche Medium unseres Landes zerstört wurde. Es herrscht Katerstimmung danach, als könnte man es gar nicht fassen, dass es nun gekommen ist, wie inszeniert.
Ganz recht, kann es auch den Initiatoren nicht gewesen sein: «Wir möchten einfach nochmals klarmachen, dass es nicht unser Ziel ist, das Radio abzuschaffen», hiess es beschwichtigend von dieser Seite.
Das wohl überzeugende Hauptargument, am 27. Oktober bei der Initiative zur Aufhebung des Gesetzes über den Liechtensteinischen Rundfunk ein Ja in die Urne einzuwerfen, wird für viele in dem Versprechen bestanden haben, dass ein Radio viel günstiger als ein staatlich finanziertes zu haben sei, wenn es privatisiert würde.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Ja-Stimmen zur Initiative durch den destruktiven Gedanken motiviert waren, den 5514 Stimmbürgern, die das Gesetz und damit das Radio beibehalten wollen, sowie den sehr vielen weiteren Hörern, die nicht abgestimmt haben oder nicht abstimmen durften, ihr Radio wegzunehmen. Das wohl überzeugende Hauptargument, am 27. Oktober bei der Initiative zur Aufhebung des Gesetzes über den Liechtensteinischen Rundfunk ein Ja in die Urne einzuwerfen, wird für viele in dem Versprechen bestanden haben, dass ein Radio viel günstiger als ein staatlich finanziertes zu haben sei, wenn es privatisiert würde. Die Aussicht, «s‘Füferle und s’Weggle» zu bekommen, ist natürlich ein verführerischer Gedanke: billiger und besser.
Desinteresse am einheimischen Sender sowie Kritik an dessen Programm wird ebenfalls in die Entscheidung eingeflossen sein. Nur hätte diese Kritik in der Volksabstimmung eigentlich nichts zu suchen: Denn es ging um die Existenz und nicht um die Gestaltung des Programms. Wenn etwas nicht mehr da ist, kann man es weder verändern noch verbessern.
Das Versprechen der Initianten «private Radiosender … erbringen die gleiche Leistung zu einem geringeren Preis» erwies sich als Täuschung. Denn, es fand sich, wie die Regierung und warnende Stimmen es angekündigt hatten, weder ein Investor noch ein Betreiber. Solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch in Betrieb war, hätte man das Personal und die Infrastruktur übernehmen können. Jetzt, nach dessen Liquidierung, ist das Tafelsilber verscherbelt. Es müsste ein Neuanfang gemacht werden. Neben Geld und Know-how müsste sich fähiges Personal finden lassen. Die Aussichten dafür sind noch schlechter.
Die Erklärung ist einfach: Es rechnet sich nicht. Ohne öffentliche Finanzierung ist für unser kleines Sendegebiet kein Radio zu machen.
Hätten die Stimmbürger zum Zeitpunkt der Abstimmung gewusst, dass nichts nachkommen wird, wäre die Abstimmung wahrscheinlich anders ausgegangen.
Es ist nicht gekommen, wie gedacht, geplant, fantasiert und in Aussicht gestellt: Statt ein Radio, das viele Menschen im Land unterhält, erfreut und informiert, haben wir nichts. Hätten die Stimmbürger zum Zeitpunkt der Abstimmung gewusst, dass nichts nachkommen wird, wäre die Abstimmung wahrscheinlich anders ausgegangen. Mit anderen Worten: Gerade bei dieser Abstimmung, bei der nicht eingetreten ist, was in Aussicht gestellt wurde, ist von einer geringen Reliabilität auszugehen: Bei einer Abstimmungswiederholung würde sich wohl ein anderes Resultat ergeben. Das bedeutet, dass sie nicht als Ausdruck eines festen Volkswillens Volkes zu deuten sein wird, wonach dieses ohne eigenen Radiosender bleiben wollte.
Verluste
Die Abschaffung des Radios stellt einen unbezifferbaren Verlust dar: Ein komplexes Unternehmen wurde nach vielen Jahren Aufbauarbeit und einer 30-jährigen Geschichte «abgewickelt». Die 25 Mitarbeiter des Unternehmens mit hoher Identifikation mit ihrem Beruf, ihrem Unternehmen und ihrer Aufgabe, haben nicht nur ihren Job verloren; trotz grossen Einsatzes wurde ihr Unternehmen liquidiert. Enttäuschung und Frustration waren die Folge.
Wir verfügen im Land nur über einen sehr kleinen Personenkreis von Radiojournalisten und Radiomachern. Diesem wurde das einzige Berufsfeld, welches sich ihnen in Liechtenstein bot, entzogen. Die arbeitslos gewordenen Mitarbeiter wurden gezwungen, sich beruflich anders zu orientieren oder ins Ausland zu gehen; im Inland gibt es keine Alternative. Einige mussten die Dienste des AMS in Anspruch nehmen.
Demgegenüber steht eine Einsparung, die gewiss weniger hoch ist als jene vier Millionen Staatsbeitrag an Radio L.
Die Folge besteht in einem Verlust von qualifizierten Personen und Kompetenzen. Junge Leute im Land, die sich für das Radiomachen interessieren, werden sich abgeschreckt fühlen. Nicht zuletzt war Radio L ein volkswirtschaftlich relevantes Unternehmen. Demgegenüber steht eine Einsparung, die gewiss weniger hoch ist als jene vier Millionen Staatsbeitrag an Radio L. Denn einerseits kostet die Liquidierung weiterhin Geld und andererseits würde auch ein privater Radiobetreiber gemäss den Initianten staatliche Beiträge erhalten.
Die ethische Herausforderung für die Mehrheit
Gerade bei Sachabstimmungen offenbart sich ein anspruchsvolles ethisches Problem. Begnügt man sich mit der simplen Abstimmungsarithmetik: Wenn alleine das Majoritätsprinzip wirksam wäre (was 51 % der Stimmen bekommt obsiegt, was 49 % erhält, fällt durch), würden Minderheiten, auch relativ goss, mit ihren Anliegen stets verlieren.
Um es anschaulich zu machen: In der Regel ist es eine Minderheit, die Nutzen aus einer von der öffentlichen Hand (mit-)finanzierten Einrichtung zieht. Nur jeweils eine Minderheit nutzt einen Fussballplatz, die Landesbibliothek oder möchte ein Baudenkmal renoviert sehen oder geht ins Theater. Selbst ein Spital oder die Schulen dienen in einem gewissen Zeitraum nur einem Teil der Bevölkerung.
Es bedarf hierbei einer ethischen Haltung, nicht nur jenes gutzuheissen, was den eigenen Interessen entspricht, vielmehr, bereit zu sein, auch die Interessen der Mitbürger, die man selbst nicht teilt, zu fördern, indem die Zustimmung zu Finanzen oder Projekten erteilt wird, etwa für ein Fussballstadion, im Wissen, dort selbst nie ein Fussballspiel anzuschauen. In der Praxis wird meist das Eigeninteresse das Abstimmungsverhalten steuern.
Die Zustimmung eines Wählers, der selbst vor der Pensionierung steht, zur Erhöhung des AHV-Antrittsalters wäre ein Beispiel. Zudem fehlt dem Stimmberechtigten meist die Kenntnis, wie gross der Kreis der Nutzer oder Begünstigten ist.
Wir wissen aber auch, dass es bei direktdemokratischen Abstimmungen zu Ergebnissen kommen kann, die gegen die eigenen Interessen gerichtet sind, vielmehr der Einsicht in die Bedeutung eines Prinzips geschuldet sind. Die Zustimmung eines Wählers, der selbst vor der Pensionierung steht, zur Erhöhung des AHV-Antrittsalters wäre ein Beispiel. Zudem fehlt dem Stimmberechtigten meist die Kenntnis, wie gross der Kreis der Nutzer oder Begünstigten ist. Umgelegt auf die Abstimmung vom vergangenen Herbst bedeutet das: Zwar haben 6786 Stimmbürger für die Abschaffung eines staatlichen Rundfunks gestimmt. Dem gegenüber stehen 45 % der Bürger, die abgestimmt haben oder 5457 Personen, die Radio L beibehalten wollten. Dazu kommen noch geschätzt 3600 2 Bürger, die nicht abgestimmt haben; plus noch 8800 3 Nichtwahlberechtigte. Wir kämen dann auf mindestens 18 000 4 Bewohner des Landes, die gerne Radio L beibehalten hätten. Man versteht das Problem: Im politischen Diskurs wäre diese hohe Zahl normalerweise ein überwältigendes Argument für die Legitimierung des Staatsbeitrags zugunsten von Radio L gewesen.
«Z’tüür»
Man kann beobachten, dass bei Referenden gegen gut entwickelte Projekte wie die Landesbibliothek, das Theodor Banzer Hus werden meist die Finanzen ins Spiel gebracht. Das Finanzargument ist nicht selten bloss vordergründig; in Tat und Wahrheit sind andere Motive im Spiel: Die eigenen Vorstellungen gilt es durchzusetzen; gelingt dies nicht, wird dies würde als persönliche Beleidigung5 erlebt. Die Landesbibliothek schon, aber als Neubau, mit einer anderen Architektur, keinesfalls an diesem Ort usw. Klar ist, dass diese Gegenvorschläge alles Planen zunichtemachen, das eingesetzte Planungskapital vernichten und selbst wenig Chancen auf Verwirklichung haben. Im Endeffekt heben sich die Kräfte auf und realisiert wird gar nichts.
Selbstverständlich gehören öffentliche Gelder sorgfältig und verantwortungsvoll eingesetzt. Das Finanzargument («z’tüür!») wird bei uns gerne – nicht selten sachwidrig aus taktischen Gründen – eingesetzt, um etwas zu verhindern, eine Tätigkeit zu erschweren oder sinnwidrig einzuschränken. Das Verhindern kann durchaus ohne Not erfolgen, da die erforderlichen Finanzmittel in der Regel vorhanden sind. Bei Radio L wurde die z’Tüür-Keule regelmässig geschwungen. Wenn der Aufwand für ein ordentlich geführtes öffentliches Radio vier Millionen beträgt, dann ist das Geld dafür bereitzustellen und es kann bereitgestellt werden.6
Konstruieren oder Destruieren
Gerade zum pfleglichen Umgang mit den direktdemokratischen Möglichkeiten müsste der Bürger genau prüfen, ob es sich dafür steht, weit entwickelte und von vielen für gutgeheissen Projekte durch Interventionen zu verhindern zu versuchen. Exzessive Inanspruchnahme von Referenden und Einsprachen dürften dem gedeihlichen Miteinander, ebenso der Akzeptanz der direkten Demokratie, mehr schaden als nützen. Wer zu diesen Mitteln greift, übernimmt grosse Verantwortung. Wie wir am Beispiel Radio Liechtenstein feststellen konnten.
Es entspricht einer Grunderfahrung, dass es einfacher ist, etwas zu verhindern oder zu zerstören als etwas aufzubauen. Gerade in den letzten Jahren wurde vieles verhindert. Man muss darauf achten, dass infolgedessen keine Entmutigung um sich greift, öffentliche, das sind gemeinnützige Projekte überhaupt noch anzugehen, aus Angst vor Referenden. Ein unternehmerischer Geist mit Mut für Lösungen und Visionen über den Augenblick hinaus sollte den öffentlichen Raum beseelen. Wenn Hemmendes Platz greift, werden wir zur Lösung drängender Aufgaben in der Gesellschaft abnehmend in der Lage sein.
Damit drohen strukturelle Schwächen oder Defizite im öffentlichen Raum. Der Wille zum Konstruktiven, das Vermögen, etwas Sinnvolles zum Allgemeinwohl zu verwirklichen, hat unserer Gesellschaft weitergebracht. An dieser Erfahrung gilt es anzuknüpfen.
Im Spannungsfeld zwischen Kritik/Einwand einerseits und dem Aufbauen/der pflegend-hegenden Betriebsführung andererseits gilt es, das Produktive gegenüber dem Dekonstruktiven zu stärken.
Wiedererstehung aus den Ruinen
Bilanzieren wir: Radio L wurde ohne Not abgeschafft, eine wichtige Infrastruktur des Lands wurde zerstört, die Alternative Privatsender erwies sich als Trugbild.
Ein Land ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk gleicht einem Wald ohne Vögel, es fehlt ihm die Stimme. Prosaisch ausgedrückt: Für so etwas wie Medienvielfalt ist ein Öffentlich-Rechtliches Organ unerlässlich. Das Land muss im Konzert mit den Privaten eine vertrauenswürdige Stimme haben; dass ein eigenes Radio identitätsstiftend wirkt, hat Radio L belegt.
Davon ausgehend, dass Radio überhaupt eine Zukunft7 hat, kann man die Abschaltung des Landesenders nicht einfach zur Kenntnis nehmen und zur Tagesordnung übergehen. Aus der schmerzhaften Feststellung heraus, dass das Radio, das man bisher hatte, nicht weiterentwickelt werden, dass darauf aufgebaut werden kann, da es liquidiert worden ist, muss die Erkenntnis folgen, dass ein Neuanfang erforderlich ist. Auch wenn die Aufgabe nunmehr viel grösser, teurer und aufwendiger wird: Ein neues Rundfunkgesetz tut not, ein neues Radio Liechtenstein muss wiederauferstehen.
2 Der Einfachheit halber, wurde bei den beiden Gruppen, den Nichtwählern sowie den nicht Wahlberechtigten, dieselbe Quote angenommen, wie sie sich bei der Abstimmung ergab, d.h. 44.6 % Befürworter von Radio L.
3 wie oben
4 Mit Sicherheit waren unter den Stimmbürgern, die für die Aufhebung des Rundfunkgesetzes waren, natürlich auch noch Radio L-Hörer, die nicht dessen Liquidierung, sondern dessen Weiterexistenz als privates Unternehmen wollten.
5 Fachlich korrekt wäre von einer «narzisstischen Kränkung» auszugehen.
6 Beim Landesspital wurde aus angeblichen Spargründen die Geburtenstation weggelassen. Nicht nur ein typisches Pseudoargument, sondern ein Zynisches dazu, gerade bei einer Geburtenstation einsparen zu wollen. Wenn wir aus nationalen Gründen die Möglichkeit haben wollen, die Kinder im eigenen Land auf die Welt bringen zu können, dann sind die dafür erforderlichen Mittel fraglos bereitzustellen. Wenn der politische Wille dafür da ist, dann ist es auch kein Problem, ausreichend finanzielle Mittel bereitzustellen.
7 Die (ganz) Jungen seien grossteils völlig TV-abstinent: Für sie stellt analoges öffentlich-rechtliches Fernsehen offenbar keine Medienquelle mehr dar. (Alexander Teske: Inside Tagesschau. LMV 2025) Dieser negative Befund kann allerdings nicht ohne Weiteres aufs Medium Radio übertragen werden.