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60Plus | Mundart | Juni, 2025
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Mundart auf Schallplatte

von Mathias Ospelt

Wer sich in Liechtenstein genauer mit den hiesigen Mundarten beschäftigen will, für diejenigen wird einiges an Lesestoff geboten. So gibt es zahllose wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Mundartbeiträge in regionalen Wörterbüchern, in den Jahrbüchern des Historischen Vereins, in volkskundlichen Publikationen, in Zeitungskolumnen und fast jede Gemeinde verfügt inzwischen über ihre eigene Dialektwörtersammlung. Vor 65 Jahren erschien in diesem Zusammenhang eine Besonderheit: Die Liechtensteiner Mundarten auf Schallplatten!

 1958 fragte der Historische Verein für das Fürstentum Liechtenstein in Zürich an, ob das Archiv bereit wäre, auch für Liechtenstein entsprechende Mundartaufnahmen zu machen und diese in ihrer Sammlung aufzunehmen.

Das Phonogrammarchiv der Universität Zürich erstellt seit dem Jahr 1914 Tonaufnahmen von Ortsdialekten aus allen vier Sprachregionen der Schweiz. 1958 fragte der Historische Verein für das Fürstentum Liechtenstein in Zürich an, ob das Archiv bereit wäre, auch für Liechtenstein entsprechende Mundartaufnahmen zu machen und diese in ihrer Sammlung aufzunehmen. Wie der neben dem Liechtensteiner Dr. David Beck an dem Projekt beteiligte Buchser Hans Schlegel in seinem «Bericht über die Mundartaufnahmen im Fürstentum Liechtenstein» (Jahrbuch des Historischen Vereins, Band 60, 1962) schreibt, «war das Phonogrammarchiv von allem Anfang an grundsätzlich bereit, der Anfrage des Historischen Vereins zu entsprechen», da «die Mundarten des Liechtensteins sehr eng mit den benachbarten schweizerischen, besonders mit denen der Bündner Herrschaft und, was Triesenberg betrifft, mit denen der nordostbündnerischen Walserkolonien zusammengehören.»

Da sich die Historisch-Heimatkundliche Vereinigung des Werdenbergs 1959 dem Projekt anschloss, konnten schliesslich nicht nur die Unkosten gesenkt werden, sondern es konnte «das Gebiet zwischen Dreischwestern, Falknis, Alvierkette und Alpstein so ausführlich und genau mundartlich dokumentiert werden wie kaum ein anderes.» Am 19. September 1960 erfolgten die ersten Aufnahmen in Liechtenstein. Den Anfang machte dabei Vaduz, gefolgt von Mauren und Planken. Ab Dezember 1962 gingen die in einem sechsteiligen Set auf Schallplatten gepressten Aufnahmen (mit einem Geleitwort von Regierungschef Alexander Frick) in den Verkauf.

Für die Mundartaufnahmen stellten sich folgende Personen zur Verfügung:

Balzers: Peter Vogt, Josefa Vogt, Vinzenz Bürzle; Triesen: Raimund Tschol, Alis Tschol; Triesenberg: Xaver Schädler, Maria Schädler, David Beck; Vaduz: Ida Ospelt-Amann, Rudolf Strub; Schaan: Emil Konrad, Lotte Konrad; Planken: Gustav Jehle, Maria Jehle; Eschen: Elwina Schädler, Alfons Fehr; Mauren: Oswald Bühler sen., Oliva Bühler; Schellenberg: Karl Hasler, Katharina Hasler; Ruggell: Wilhelm Oehri, Rosa Oehri und Gamprin: Erwin Heeb, Almerida Heeb, Ewald Hasler.   

«Wir [Ida Ospelt-Amann und Rudolf Strub] haben je einen vorbereiteten Text aufsagen müssen und dann noch einen spontanen.»

In einem Interview, das die an dem Projekt beteiligte Vaduzer Mundartdichterin Ida Ospelt-Amann im September 1991 mit ihren beiden Enkeln, dem Historiker Jürgen Schremser und dem Verfasser dieses Beitrags, führte, erinnerte sie sich an die Aufnahmen zum Vaduzer Beitrag:

«Die erste Zusammenkunft war mit dem David Beck und dem Felix Marxer in der Realschule Vaduz. Und dort hat man mich gefragt, ob ich mitmachen würde. Die zweite Zusammenkunft – da war dann auch eine Radiogesellschaft aus Zürich dabei – fand in der Villa vom David Strub statt. Wir sind in einem Zimmer gesessen und die Techniker in einem Zimmer nebenan. Sie haben die Aufnahmen gemacht. Wir [Ida Ospelt-Amann und Rudolf Strub] haben je einen vorbereiteten Text aufsagen müssen und dann noch einen spontanen.»

Der erste Text «Gespräch am Neujahrstag» war ein sogenannter Vergleichstext, der vom Phonogrammarchiv verfasst und der schweizweit in die jeweilige Ortsmundart übersetzt worden war. Hier die beiden Beispiele von Vaduz und Triesenberg:

Vaduz

Grüas Gott, Hër Leerar! I wüüsch ni a guats neus Joor. Und do schigt ni d Mama eppas z Essa. Es ischt a Schtogg Zopf, a Türggabroot, en Bierawegga und a par töri Schnetz un drzua noh seggs Eier.

I lës ara vilmol vrgëltsgot sëga. Du bischt a braavs Kind. Hëscht duu aber schwëër z trëëga gha. Kom an Ofa zuehi, ufs Ofabenggli. Du hëscht gwöss kalti Füess. Früürscht jo a d Hend. Warom legend er aber o ka Hëntscha aa bi dëra Kelti ? Ir hënds alawil glych. Gëll, das hët gschneit. Alli Bömm sin voll.

[…] Aber du goscht iez no nid grad hääm. Mir essen iez den grad Zvieri. Kascht doobliba und a Schösseli Kafee tringga. Kunscht den noh a Schtogg Broot über mit Fööla druf oder met Saft.

Triesenberg

Guatan Aabat, Hër Leerar. I wüntschan as guats näüs Jaar, und da schickt a d Mamma ättas zum ässa; as sind drei Schtuck Chuacha, an Chääs- und an Raumchuacha und eine mit dürra Bira und drzua noch säggs Eiar.

I lëëa ra vilmal dancha. Du bischt as liabs Chind. Heschd duu schwëër z trääga kha. Chum an Ofa anchi, uf dan Ofabanch. Du hëschd gwüss chaalt Füass, früürscht ja a d Hend. Warum leggat ar au kä Häntschan a bi dër Chelti ? Iar heid s albi glych. Gält, das hëd  gschneit; all Bömm sind volla!

[…] Abar du geischt iez no nid grad hei. Wr ässand iez de grad z Viari. Chaschd daablyba und au as Schüssali Kafee trincha. Chuschd noch an Schtuck Brood ubar mit Fäüla druuf odar mit Holdarlatwëri.

(ë bezeichnet den offenen e-Laut, ä den überoffenen e-Laut)

Der zweite Vergleichstext, «Heuarbeit», stammte vom Vorarlberger Germanist Prof. Dr. Leo Jutz und war bereits 1956 in dem Buch «Das Fürstentum Liechtenstein im Wandel der Zeit» im Kapitel «Volk, Sprache, Spruch und Brauch in Liechtenstein» von Prof. Dr. Eugen Nipp als Vorlage für «Mundartproben» aus Balzers und aus Ruggell veröffentlicht worden.

Balzers

As wört langsam Zit, as ma met am Heua n aafååcht; s Graas ischt riif gnuag, und s Wetter töörft heba. D Segassa hane scho tenglat und ghööreg iigschtellt; bi dr ääna ischt d Hamma hii gse. Jetz hauen se weder wia Geft, as as grad a Frööd ischt. Wenn no dia malefiz Muushüüffa net weerend, dia machend dr schünscht Tangl kaputt. D Fuatterfesser vergesst an guata Mader jå o net.

Ruggell

As wüart langsam Zit, as ma met am Heua n aafååcht; s Grääs ischt riif gnuag, unn s Wetter tüarft heeba. D Seegassa hani schån tenglat unn ghöörig iingschtellt; bi dr åånna ischt d Hamma hiin gsiin. Jetz hauen si weder wia Geft, as as gad a Frööd ischt. Wenn no dia malefiz Muus hüüffa ned wäären; dia machen dr schönscht Tangel kaputt. D Fuatterfässli vergesst an guata Maader jå oo net.

(å bezeichnet ein offenes o, ę ein mitteloffenes e, ä ein überoffenes e. Die für das Unterland typische Nasalierung wird mit einem kleinen, hochgestellten n dargestellt.)

Der dritte Text konnte frei gewählt werden. Ida Ospelt-Amann z. B. wählte hierzu den selbstverfassten Prosatext «Dr Gärbersepp» und den Abschluss machte ein spontanes Gespräch über ein bestimmtes Thema. Im Vaduzer Beitrag ging es dabei um Arbeiten im Wingert. Etliche dieser Gemeindebeiträge können im Übrigen in der von Dr. Roman Banzer in den Jahren 1998 bis 2000 veröffentlichten Tonsammlung der liechtensteinischen Ortsmundarten «Wia ma bi üüs red» angehört werden.

Damals wie heute gilt das Fazit, das Hans Schlegel in seinem Bericht 1962 zog: «Hier und dort […] zeichnet sich ein kommender Zustand schon ab, wo an Stelle des bodenverwurzelten Dialekts, der die Eigenart der Bevölkerung, die Geschichte des Dorfes, die geistige Tradition aufs mannigfaltigste spiegelt, eine farblose, langweilige Allerweltsmundart tritt.» Eine Aufnahme, die 65 Jahre zurück liegt, kann diese Entwicklung selbstverständlich nicht aufhalten. Sie macht uns aber vieles bewusst.

Quellen:

Nipp, Eugen: Volk, Sprache, Spruch und Brauch in Liechtenstein. In: Das Fürstentum Liechtenstein im Wandel der Zeit und im Zeichen seiner Souveränität. Festgabe zur 150. Jahresfeier der Souveränität. Vaduz 1956.

Schlegel, Hans: Bericht über die Mundartaufnahmen im Fürstentum Liechtenstein. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein. Band 60, Vaduz 1962.