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60Plus | Horizont | Dezember, 2017
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Vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen

Sommerlad und seine Zeit (3. Teil) – Die Goldenen 20er Von Marcus Büchel

Man kann Geschichte abstrakt darstellen, sozusagen als allgemeines Geschehen in wissenschaftlicher Neutralität – Der Nachteil: Sie bleibt häufig farblos. In dieser Serie wird jüngere Zeitgeschichte erzählt anhand der Hauptfigur Sommerlad. Anhand der Hauptfigur wird lebendig, wie das gesellschaftliche Klima war, wie die Menschen dachten und handelten.  

Der 29-jährige Sommerlad traf auf seinem vollbepackten Rad in Schaan Mitte Mai 1924 ein, just in jenem Monat, als der Zollvertrag mit der Schweiz in Kraft trat und der Schweizer Franken als Währung eingeführt wurde.

War es kluge Voraussicht oder wieder einmal sein Glück, was ihn lenkte? Es gibt keine Hinweise, dass S. sich vor seiner Auswanderung gründlich mit der Innen- und Aussenpolitik Liechtensteins auseinandergesetzt hat und er daher seine Wahl wissensbasiert getroffen hätte. Somit wusste er wohl nicht, dass jenes Land, welches er zum Ziel seiner Emigration erkoren hatte, sich mit diesem Vertrag wenigstens eine offene Grenze sicherte – eine existenzsichernde Option für Zeiten, in denen überall die Grenzbalken fallen würden.

Mag auch der Zufall dabei Regie geführt haben, dass sich individuelles Schicksal und geschichtliches Wirken kreuzen, so wird man sich doch wundern, auf welch eindrucksvolle Weise Sommerlads intuitive Wahl die Bestätigung ihrer Richtigkeit fand.

Spiessrutenlauf

Die ersten Wochen nach seiner Ankunft in Liechtenstein verbrachte S. in Schaan. Am 24. Juni gelangte er an die Regierung mit der «Bitte um Erlaubnis, seinen Beruf als selbständiger Architekt für Hochbauten ausüben zu dürfen». «Dass Architekt ein eigenständiger Beruf ist», notieren die beiden Biografen Andreas Bellasi und Ursula Riederer nicht ohne Ironie, «hatte man im Lande zwar schon gehört. Aber einen solchen gab es bisher nicht, auch hatte niemand einen nachgefragt.» (S. 57). S. hatte bei Regierungschef Gustav Schädler persönlich vorgesprochen. Schädler, ein gebildeter Mann mit dem fürstlichen Titel eines Professors, hatte wohl die Fähigkeiten des jungen Architekten erkannt und erahnt, welches Potenzial der Zuwanderer aus Deutschland in die liechtensteinische Volkswirtschaft einbringen könnte.

Gustav Schädler von der Volkspartei (später VU), ebenso gebildet wie als Redner begabt, war von 1922 an Regierungschef, der zweite nach der Verfassungsreform von 1921. Er stürzte 1928 über den sog. Sparkassenskandal. Er schrieb für das «Vaterland» und war Korrespondent für die «NZZ». 1943 nahm er an einer konspirativen Konferenz von VU, Volksdeutscher Bewegung in Liechtenstein und SS in Friedrichshafen teil. Wegen dieser Teilnahme sowie wegen verbotener nachrichtendienstlicher Tätigkeit für das Deutsche Reich wurde er 1946 zu sechs Monaten Haft verurteilt. Schädler starb 1961.

Und obwohl S. in der Person des Regierungschefs einen wohlgesinnten Fürsprecher hatte, begann ein langwieriges Verfahren. Denn «auch der Ministaat, in dessen Bevölkerung von knapp 8000 Personen fast jede jeden kennt, weil verschwägert oder politisch verbandelt, unterhält einen ausgewachsenen Amtsschimmel.» Sommerlads Gegenspieler hiess Oberingenieur Hiener. Dieser wertete Sommerlads Ausbildung mit einer dreisten Lüge ab. Einen Abschluss mit Auszeichnung an der Baugewerkschule hätten, so der Beamte, «alle Baumeister umher eben auch». Der Gefertigte glaube kaum, «dass die hiesigen Bau- und Maurermeister den neuen Kollegen sympathisch begrüssen würden. Und er lässt das liechtensteinische Totschlagargument gegen unliebsame Konkurrenz natürlich nicht aus: Es sei seiner Meinung nach «kein Bedürfnis für die Errichtung eines Architekturbüros vorhanden».

Sommerlads Gegenspieler hiess Oberingenieur Hiener. Dieser wertete Sommerlads Ausbildung mit einer dreisten Lüge ab. Einen Abschluss mit Auszeichnung an der Baugewerkschule hätten, so der Beamte, «alle Baumeister umher eben auch».

Des Beamten vernichtende Stellungnahme vermochte die Regierung nicht zu überzeugen. Sie liess durchblicken, dass sie die Konzession erteilen würde, wenn S. eine Bestätigung der deutschen Behörden beibrächte, dass Deutschland bei Gewerbebewilligungen Gegenrecht halte. Da S. offenbar zu wenig bedeutend war, als dass es ihm gelungen wäre, den deutschen Behörden mehr als nur eine mündliche Aussage abzuringen, schaltete sich der Regierungschef persönlich ein. Ihm wurde wie erwünscht die schriftliche Auskunft erteilt, dass Deutschland in Sachen Berufszulassung von Liechtensteinern Gegenrecht halte.

Was keiner der Beteiligten wusste, war, dass von den Deutschen bereits seit langem Gegenrecht geübt wurde. Bereits seit 1910 betätigte sich ein Liechtensteiner in Frankfurt als Architekt. Sein Name: Franz Röckle. Er wird die Wege Sommerlads noch öfters kreuzen.

Die zweite Auflage jedoch musste als uneinnehmbare Hürde erscheinen. Die Regierung verlangte nämlich eine schriftliche Zustimmung sämtlicher Baumeister des Landes. Und verwunderlicherweise gelang es dem jungen Deutschen, der in kommunikativer Hinsicht als wenig kompetent galt, den Frommelts und Fricks, Ospelts und Schädlers, Hiltys und Hiltis die geforderte Erklärung abzuringen, wonach diese in seiner Tätigkeit als Architekt keine Konkurrenz erblickten.

Wie die beiden Biografen Bellasi und Riederer nicht ohne Ironie vermerken, erteilt die Fürstliche Regierung ausgerechnet an Mariä Himmelfahrt, dem 15. August 1924, an einem Feiertag im «stockkatholischen Land» die Bewilligung zur Errichtung eines Architektenbüros in Schaan.  Ein «teuflisch tückisches Detail» hatte die Regierung in die Konzession hineingepackt. S. war es nur gestattet, Kanzleiarbeiten, Aufnahmen und Vermessungen durchzuführen. Die selbstständige Übernahme von Bauten wurde explizit ausgeschlossen.

Auch wenn S. nach dem Spiessrutenlaufen schlussendlich zu seiner Bewilligung kam, zeigt die Episode, dass von einer Unabhängigkeit von Behörden und Gewerbe nicht die Rede sein konnte. Vielmehr wirkten diese konzertiert zusammen, wenn es galt, ausländische Unternehmer abzuhalten, in Liechtenstein Fuss zu fassen. Nicht zu Unrecht verwenden Bellasi und Riederer den Begriff «liechtensteinisches Baumeisterkartell». Letztlich wird bei den Baumeistern das Kalkül überwogen haben, in Zukunft bessere Geschäfte mit dem deutschen Architekten zu machen als ohne ihn. Ein volles «Ja» war diese Bewilligung freilich nicht. Vorsorglich war – nota bene von der Regierung – eine raffinierte Klausel eingebaut worden, mit der man ihn in der Hand hatte. Bei Bedarf konnte man ihm das Leben schwer machen. Denn mit einer reinen Bürotätigkeit, ohne vor Ort sein zu dürfen, würde er auf dem kleinen liechtensteinischen Markt wirtschaftlich nicht überleben können.

Das hyperprotektionistische System à la Liechtenstein hatte für einmal einen Ansatz von Durchlässigkeit gezeigt. Die vernünftige Einsicht hatte obsiegt, dass nicht alles, was aus dem Ausland kommt, bedrohliche Konkurrenz bedeutet, und dass Konkurrenz sogar vorteilhaft für alle sein kann. Dieses Mal war ein innovativer Impuls – wenn auch ganz knapp – nicht an den Aussenmauern Liechtensteins abgeprallt. Mit Sommerlad kam ein neuer Geist ins Land.

Bereits einen Monat später eröffnete S. sein Architekturbüro in Schaan; es war das erste in Liechtensteins Geschichte. Nun endlich konnte er seinem allzu lang gebremsten Schaffensdrang freien Lauf lassen, sofern er entgegen der Auflage die Bauleitungen vor Ort übernahm. S. zögerte nicht, das Notwendige zu tun, und es wurde toleriert – vorerst.

Die Frau an seiner Seite

Ernsts Jugendliebe Getrud Haas war ihm schon bald ins «fremde Land» gefolgt. Sie wollte ihrem Ernst in der Zeit des Hoffens und Bangens beistehen. Offenbar waren die Behörden damals toleranter. Im Gegensatz zu heute, da nächtliche Beischläfer von «über der Grenze» als Illegale mit Strafverfahren zu rechnen haben, blieb sie unbehelligt.

Nachdem mit der Bewilligung des Architekturbüros die Basis für den Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz geschaffen war, konnte das Paar dran denken, seine Beziehung «in Ordnung» zu bringen. Im Dezember heirateten Ernst, noch nicht 30, und Gertrud. Seit der Wandervogelzeit vor dem Krieg waren sie schon ein Paar, und sie sollten es bleiben, bis der Tod sie schied. Beide teilten das Interesse am Sport. Sie waren sich nicht nur Ehepartner; das Paar ergänzte sich auch geschäftlich vorzüglich. Gertrud war nicht für die Verwaltung und die Finanzen des Architekturbüros verantwortlich. Sie war emanzipiert, in den Augen der liechtensteinischen Urbevölkerung wohl in einem unerhörten Ausmass. Sie spielte Tennis und fuhr als Erste in Liechtenstein Schi. Im Architekturbüro blieb sie nicht, wie es einer Frau gebührt hätte, im Hintergrund des Backoffice-Bereichs. Vielmehr war sie durchaus gleichberechtigte Partnerin im Unternehmen. Sie besorgte eigenverantwortlich die gesamte Verwaltung. Sie war nicht nur quasi Finanzministerin, sondern auch Aussenministerin des Unternehmens. Als solcher oblag es ihr, den «Lead» zu übernehmen, sobald es schwierige Verhandlungen zu führen oder Streit zu schlichten gab. Sie wusste auf der Klaviatur menschlicher Zwischentöne zu spielen und sorgte für die soziale Vernetzung sowie den Auftritt in der Gesellschaft. Ihr Mann war Künstler, Planer, Techniker und Baulogistiker, aber hölzern in sozialen Belangen.

Auch die Planung des Interieurs entstammt Sommerlads Feder

Die erste Phase

Der erste Auftrag, welchen das neue Architekturbüro akquirieren konnte, war der Bau eines Cafés in Schaan. Der Bau an der Bahnhofstrasse, in dem zunächst das Café Risch, später das Restaurant «Central» untergebracht war, existiert heute noch. Es folgte mit dem «Falknis» an der Landstrasse in Vaduz ein weiterer Restaurantbetrieb. Nicht nur der Gastronomiebereich befand sich im Aufschwung und bildete die Avantgarde bei der architektonischen Erneuerung. Auch in der Hotellerie war an der Wende der 20er zu den 30er- Jahren ein noch nie dagewesener Aufwind zu verspüren.

Untypisch für Sommerlad: Der Landsitz für Otto Strack auf Masescha

Den fachlichen Durchbruch versprach sich S. von einem Prestigebau für den aus Köln stammenden Justizrat Otto Strack. Für ihn und sein Familie baute er seinen Landsitz auf Masescha. Das Gebäude inklusive Aussichtsturm mit fantastischem Blick aufs Rheintal, auf einer Geländenase nordwestlich des Gasthauses gelegen, dürfte den meisten Liechtensteinern bekannt sein. Wenigen dürfte jedoch bekannt sein, dass dieses prominente Gebäude von S. geplant wurde. Das ist nicht verwunderlich, denn der Landsitz weist eine andere Charakteristik als die der typischen Sommerladbauten auf. S., der sich nicht, wie man meinen könnte, dogmatisch aufs Neue Bauen festlegte, verwirklichte die Wünsche des Bauherrn und beging einen «Mittelweg zwischen alpenländischer Behäbigkeit und moderner Sachlichkeit». Der Bauherr war jedenfalls zufrieden, und auch die Fachpresse lobte das Werk als «sorgsam durchdachter Organismus, auch wirtschaftlich geschickt gestaltet». Und hervorgehoben wurden die «kühn eingesetzten Farben».

Der Bauherr war jedenfalls zufrieden, und auch die Fachpresse lobte das Werk als «sorgsam durchdachter Organismus, auch wirtschaftlich geschickt gestaltet». 

Noch ein untypischer Bau muss genannt werden: die Pfälzerhütte auf dem Bettlerjoch. Die Gegend kannte S. gut, weil er und seine Frau mit den Schiern oft dort gewesen waren. Im Katastrophenjahr 1927 – der Rhein überflutete im September grosse Teile des Landes – gewann er den Architektenwettbewerb, den die Pfälzischen Sektionen im Deutschen und Österreichischen Alpenverein ausgeschrieben hatten. 1928 wurde die Pfälzerhütte festlich in Betrieb genommen. Sieben Bauvorhaben hatte S. damit bereits unter Dach und Fach – Grund zum Feiern. Dass S. den Wettbewerb um die Pfälzerhütte gewonnen hatte, war für sein Renommee wichtig. Umso merkwürdiger ist es, dass er nie mehr an einem Architekturwettbewerb teilnehmen würde.

Ein cleveres Architektur-Finanz-Produkt

Bisher war es ein Bauauftrag um den anderen, den S. akquirieren musste. Er hatte aber Grösseres im Sinne – Bauen in Serie. Grundlage für den grossen Wurf war das neue Personen- und Gesellschaftsrecht. Das im Jahre 1926 in Kraft getretene Gesetz würde unserem Land über Jahrzehnte den Zufluss ungeheurer Finanzmittel bescheren. Kern des legistischen Geniestreiches von Wilhelm und Emil Beck war die Sitzgesellschaft vulgo Briefkastenfirma. Mit diesem Konstrukt sollte Kapital angelockt, bzw. – in den Augen der Gegenseite – Fluchthilfe für Kapital geleistet werden. Und (Kapital-)Fluchtwillige gab es damals in Europa aufgrund unkalkulierbarer politischer Verhältnisse sowohl vor als auch während der Weltwirtschaftskrise genügend.

Eine Freundschaft sollte wegweisend werden: diejenige mit seinem Tennispartner Dr. Helmuth Merlin. Sie erwies sich zu beiderseitiger Nutzen als lukrativ. Der Wirtschaftsanwalt Merlin war sehr jung von Kärnten nach Liechtenstein gekommen, um bei der BiL zu arbeiten. Auch Merlin hatte Grösseres im Sinn. Er sollte einer der grossen Player im liechtensteinischen Treuhandwesen werden. 1931 gründete er mit dem Eschner Eugen Schafhauser die Präsidialanstalt. Und dank Merlin als Finanzcoach vermochte S. einzigartige kombinierte Architektur-Finanz-Produkte anzubieten: Entweder konnte der vermögende Kunde Geld nach Liechtenstein transferieren, oder er transferierte selbst nach Liechtenstein. Ob nun das eine oder andere: Beide Produkte konnte S. quasi schlüsselfertig seinen Kunden überreichen.

Für an steuerschonenden Finanzanlagen in Liechtenstein Interessierte gründete S. Anstalten, finanzierte damit den Bodenkauf sowie den Hausbau. Das Haus bewohnte er mit seiner Familie selbst, bis er es mit Gewinn verkaufen und das «Darlehen» bei der Anstalt zurückzahlen konnte. In diesem Fall war er Treuhänder, Makler, Bauherr, Architekt, Bauleiter, Eigentümer und Hausbewohner in einer Person. Und in jeder Rolle konnte er einen Verdienst erzielen.

Den Auswanderungswilligen wiederum besorgte er Aufenthaltsbewilligungen für Liechtenstein, verkaufte ihnen Grundstücke, auf welchen er das gewünschte Haus aufstellte. S. hatte sich damit zum totalen Generalunternehmer gemausert.

Neue Kolonien für Reiche

Um Häuser für «Massen» errichten zu können, bedurfte es mehr als des Erwerbs einzelner Grundstücke, vielmehr grosser zusammenhängender Flächen, die überbaut werden konnten. Die Ebenholzer Allmeind schien S. ideal. Mit den Argumenten, dass von der Ansiedlung kapitalkräftiger Steuerzahler nicht nur Gemeinde und Land profitieren würden, sondern auch Bauwirtschaft und Handel, vermochte er die Vaduzer Bürgerversammlung zu überzeugen. Mit 106 Ja gegen 34 Nein wurde dem keineswegs unumstrittenen Projekt zugestimmt und die Veräusserung von 5000 Klaftern für Bauplätze beschlossen. Das Volksblatt vom 6. November 1926 lobte den Entscheid als «Lichtblick für unsere von Arbeitslosigkeit bedrohten Bau- und Erdarbeiter».

Die Ebenholzer Allmeind schien S. ideal. Mit den Argumenten, dass von der Ansiedlung kapitalkräftiger Steuerzahler nicht nur Gemeinde und Land profitieren würden, sondern auch Bauwirtschaft und Handel, vermochte er die Vaduzer Bürgerversammlung zu überzeugen. Mit 106 Ja gegen 34 Nein wurde dem keineswegs unumstrittenen Projekt zugestimmt und die Veräusserung von 5000 Klaftern für Bauplätze beschlossen.

S. warb mit Inseraten in deutschen Zeitungen für «Villen, Bauplätze und Landhäuser an bester sonniger Lage». Viele sollten dem Ruf aus Liechtenstein folgen. In den folgenden Jahren wurde das Baugebiet für die Ebenholzer Kolonie immer wieder erweitert. Es entstand hier eine Welt für sich. Wohlhabende Menschen mit Autos, städtischen Sitten und anderer Sprachfärbung wohnten in Villen mit Schwimmbädern inmitten einer «offenen Gartenstadt». Dies war ein starker Kontrast zu den alten Dorfteilen, wo die angestammte Bevölkerung traditionelle Häuser bewohnte und erst allmählich dem einfachen bäuerlichen Leben entwuchs. Zumindest ein Teil der «Ureinwohner» beäugte misstrauisch den Einfall fremder Sitten und fand Missfallen an der neuartigen Bauweise mit den Flachdächern, «moderns Zügs», welches die traditionelle Bauweise zu konterkarieren schien. Nach Bellasis und Riederers Befund «zementierten gegenseitiges Misstrauen und Vorurteile die unüberbrückbare Grenze zwischen den Kulturen». Ob das Quartier gar ein «Getto» war, dessen Bewohnern die Dörfler für hoffnungslos rückständig und kulturlos hielten, dürfte als Überzeichnung der Sommerladbiografen zu deuten sein. Die Ablehnung des Neuen war gewiss nicht durchgängig. Immerhin hatte S. seine ersten Aufträge von Liechtensteinern erhalten, und etliche aufgeschlossene Bauherren Liechtensteiner Provenienz sollten in den folgenden Jahrzehnten ihr Bauvorhaben dem Vertreter der Moderne anvertrauen. Der Baukünstler Sommerlad hatte unter den Alteingesessenen sicher seine Anhängerschaft. Einer der glühendsten unter war Emil Real, der Begründer und Wirt des Café Real, der «selbst ein Güllenfass nicht ohne seinen Haus- und Hofarchitekten Sommerlad bauen» würde.

Jedenfalls trat ein, was S. versprochen hatte: Kapital floss in die bescheiden dotierten Kassen von Land und Gemeinden, die Bauwirtschaft boomte und der Handel profitierte. Auch lokal wussten die Einwohner die hohe Kaufkraft der Kolonie zu nutzen. Ein regelrechter Versorgungsgürtel bildete sich um das Villenviertel mit neuen Geschäften, wie die Handlung Büchel (in einem 1932 errichteten, von Sommerlad geplanten Haus) oder die Bäckereien Hemmerle und Dörig; weiter entfernte Geschäfte, wie Comestibels Ospelt und Dürr-Ospelt, profitierten ebenfalls von den Neuzuzügern und erweiterten ihr Sortiment, um die gehobenen Ansprüche dieser wirtschaftlich potenten Konsumenten befriedigen zu können.

Die Ansiedlung reicher Ausländer beschränkte sich nicht auf Vaduz. In Schaan entstand ebenfalls ein Villenviertel. Auch diese Entwicklung hatte einen Motor aus Deutschland – sein Name: Erwin Hinderer. Hinderer, ein Moderner wie Sommerlad, hatte 1930 als Zweiter eine Zulassung für ein Architekturbüro erhalten. Für die Erschliessung des SchaanerPendants wandte er mit Erfolg dieselben Methoden an wie sein Kollege Sommerlad in Vaduz.

Im vierten und letzten Teil werden wir verfolgen, wie unsere Hauptfigur und mit ihn ganz Liechtenstein die ganz und gar nicht goldigen 30er- und 40er-Jahre bewältigten.