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60Plus | Im Blickpunkt | Oktober, 2018
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Kein schöner Sommer

von Marcus Büchel

Wir ziehen Bilanz, was der heurige Sommer in baukultureller Hinsicht brachte.

Hatten wir einen schönen Sommer? War es zu heiss und zu trocken oder durften wir uns wieder einmal eines richtigen Sommers erfreuen, mit viel Sonne, Wärme und beinahe täglichem Badewetter? Übers Wetter lässt sich streiten. In einer anderen als meteorologischen Hinsicht kann es jedoch keine Zweifel geben: In diesen heiteren Monaten, an denen man hierzulande wähnen konnte, im Dauerurlaub in Italien zu sein, wurden schmerzhafte Breschen in unsere Baukultur geschlagen.

In Eschen liess man pietätsvoll den Staatsfeiertag verstreichen (schliesslich ist es auch unschicklich, am Sonntag den Rasen zu mähen), bevor die Gemeinde schweres Gerät auffahren liess, um den Gasthof «Kreuz» dem Boden gleich zu machen. In unserem Magazin haben wir vor zwei Jahren dieses bemerkenswerte klassizistische Gebäude mit Baujahr 1810 ausführlich vorgestellt und dessen Bedeutung herausgearbeitet. Abgerissen wurde es dennoch. Selbstverständlich wird man einwenden: Ein Narr, der glaubte, mit ein paar Zeilen und Argumenten gegen Beton und Ignoranz etwas ausrichten zu können! Auch Leserbriefe blieben ohne Erfolg ebenso wie die Aktivitäten der Bürgerinitiative «Pro Krüz».

Adieu «Pöstle»

Der zweite Trauerfall im August war das «Pöstle» in Schaan. Auch dieses eindrucksvolle, die Bahnhofstrasse und den Postplatz prägende Bauwerk, wurde geschliffen. 1887 war es errichtet worden und «dieses ehemalige Hotel Post hätte sicher viel zu erzählen», wie Iris Heeb in einem einfühlsamen Leserbrief schrieb, der nur wenige Stunden vor dem Anrücken der Bagger erschienen war. «Zu jener Zeit, in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Bahnlinie durch einen Teil des Landes und infolgedessen auch der Bahnhof gebaut wurden, war ein Hotel in unmittelbarer Umgebung sicherlich willkommen. Denn für Reisende, die hier in Schaan dem Zug entstiegen, war es fast von Nöten, eine Unterkunft in der Nähe zu finden, da es ja zu jener Zeit noch keine Autos gab. Kutschen oder andere Transportmittel gab es auch nur wenige. Der Grösse des Gebäudes ist abzulesen, dass es von Anfang an schon als Hotel gebaut worden war. Auch die Poststelle fand darin Platz.» Bei einem Liechtensteiner Blogger aus Wien weckte die Zerstörung ebenfalls Verlustgefühle: «Adieu Bogarts! Man ist alt, wenn die Institutionen seiner Jugend abgerissen werden.» Viele Liechtensteiner drückten in Leserbriefen und in den sozialen Medien ihr Bedauern aus, notierte das Vaterland. Patrik Walser fasste den Plan, aus alten Holzbalken Erinnerungsstücke ans «Pöstle» zu fertigen, als er feststellte, «wie vielen Menschen das Gebäude am Herzen liegt».

Ach, welche Sentimentalitäten, wenn es doch um Kurvenradien und Optimierung «suboptimaler Strassenführungen» geht! So wird in den Augen der Technokraten nicht etwa ein bedeutendes Beispiel unserer Baukultur vernichtet, sondern der Rückbau zum «zentralen Teil der Lösung eines Problems.» Rückbau nennen Technokraten den Abriss historischer Bauten, wobei ihnen zu entgehen scheint, welch ebenso schönfärberischen wie verräterischen Begriff sie dabei verwenden. Derart unverstanden und umgedeutet fällt es leicht, den Abriss unseres Kulturerbes zu planen und zu bewilligen, ohne von Skrupeln belästigt zu werden. Verständnis für den Wert unseres Kulturgutes vorausgesetzt, wäre das «Pöstle» nicht zum «Problemfall» degradiert worden. Vielmehr wäre unter dessen Einbezug respektvoll um das seit 131 Jahren den ganzen Platz und die Bahnhostrasse prägende Gebäude geplant worden. Es ist wie in der Natur, wenn eine Tierart ausgerottet wird: Die ästhetische Harmonie gerät ebenso durcheinander wie das ökologische Gleichgewicht. Um die von Iris Heeb treffend geschilderte harmonische Verbindung zum Hotel Post beraubt, steht der alte Bahnhof Schaan-Vaduz nun verloren und disproportioniert da, wie ein Fremdkörper aus einer anderen Welt. Seine Tristesse wird erhöht durch sein herabgekommenes Äusseres. Obwohl der Innenbereich bereits 1998 gründlich renoviert worden war, um es als Heimstätte für das Jugendinformationszentrum aha nutzbar zu machen, hat es das Land, welches den liechtensteinischen Hauptbahnhof vor 20 Jahren der ÖBB abkaufte, nicht geschafft, dieses Architekturdenkmal auch aussen renovieren zu lassen. Mittlerweile musste die Jugendservicestelle ausziehen. Und seither jeglichen Lebens beraubt, gammelt dieses für die liechtensteinische Verkehrsgeschichte so bedeutende Gebäude trostlos vor sich hin. Die ortsplanerisch attraktive Chance, die beiden benachbarten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert in ein architektonisch spannendes Gesamtkonzept mit dem Bushof einzuplanen, wurde vertan.

Der Trick mit der Abwertung

Wenn wertvolle alte Gebäude abgebrochen werden, wird das vielfach bedauert. Kein Wunder, gehören doch derartige Bauten zum vertrauten Dorfbild. Sie strahlen (noch im Zustand der Vernachlässigung) eine warme Ästhetik aus und sind, weil dazu Bezüge und Erinnerungen bestehen, emotional wichtig. Aber sogleich nach der Aufwallung von Gefühlen, werden die Schultern gezuckt und erklärt, da könne man nichts machen, denn das Gebäude gehöre einem «Privaten». An diesem Punkt beginnt ein Trick seine Wirkung zu entfalten, der stets mit Erfolg angewandt wird, um keinen offenen Widerstand der Bürger aufkommen zu lassen: Man lässt das Gebäude so weit wie möglich verwahrlosen und kann dem Bürger leicht einreden, dass es sich nur um «altes Klump» handle, welches nicht mehr zu sanieren sei, was ohnedies nie und nimmer «rentiere».

Es liesse sich zwar einwenden, dass private Eigentümer auch Verantwortung für ihr Eigentum hätten. Aber mit dem Bauen auf das Verantwortungsgefühl und mit Subventionen von Seiten des Denkmalschutzes allein ist es nicht getan, nämlich das zu retten, was noch zu retten ist. Es müssten schon wirksame Barrieren im Baugesetz, im Steuerrecht und nicht zuletzt im Kulturgütergesetz gesetzt werden. Allein, es fehlt dafür die Voraussetzung, nämlich dass es unserer Gesellschaft ernst damit ist, unsere alte Bausubstanz zu revitalisieren und an unsere Nachkommen weiterzugeben. Um beispielhaft nur eine ortsplanerische Alternative anzuführen: Andernorts ist es nicht zulässig, alte Gebäude aus spekulativen Gründen abreissen und die Grundstücke unbebaut zu lassen. Bei uns ist dies jedoch übliche Praxis, was zur Folge hat, dass Ortskerne über Jahrzehnte mit hässlichen Baulücken übersät sind.

Versagen der Öffentlichen Hand

Die Schneisen, die im August in unsere Baukultur geschlagen wurden, sind aber nicht dem Gewinnstreben von Privatpersonen zuzuschreiben; hierfür trägt die Öffentliche Hand die Verantwortung. «Post und «Kreuz» hatten als Gaststätten nicht nur dieselbe Funktion, sondern eine weitere Gemeinsamkeit: Sie standen im Eigentum der Öffentlichen Hand. Das «Kreuz» gehörte der Gemeinde Eschen, und das «Pöstle» befand sich im Eigentum des Landes, welches die Liegenschaft unlängst von der Eigentümerfamilie erworben hatte.

Es ist natürlich besonders bitter, dass Staat und Gemeinden, die ja nicht vorrangig auf Gewinnmaximierung zu achten haben, immer wieder schlechtes Beispiel geben. Man müsste meinen, die Öffentliche Hand verstünde sich als oberste Hüterin historischer Bauten, welche als gemeinsames Kulturerbe anzusehen sind. In welch fatale Widersprüche sich die Öffentliche Hand verwickelt, wenn sie selbst inkonsequent handelt, konnte man in Eschen beobachten. Es gab eine gewisse Erregung, nachdem der Eigentümer eines Stalles, den die Gemeinde im Ortsbildinventar als schützenswert aufgenommen hatte, niederreissen liess. Nur hatte eben diese Gemeinde das gleichermassen schützwürdige, imposante Stallgebäude des sich in ihrem Eigentum befindlichen «Kreuz» kurz davor eingeebnet und schlussendlich auch das Gasthausgebäude selbst. Somit hatte die Gemeindeverwaltung ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Dass ausgerechnet zwei Gasthäuser, so nannte man früher die Stätten der Labung und Beherbergung, der Freuden und des Genusses, kurz nacheinander kurz hintereinander verschwunden sind, darf man ruhig auch symbolisch als ein Verschwinden der Gastlichkeit verstehen. An Stelle der Gast-Häuser, wird der reine Kommerz Einzug halten. An diesen Orten eine Kultur für Gäste wieder zu pflegen, ist, so weit bekannt, nicht vorgesehen.

Selbstverständlich: Jeder Erfolg des Denkmalschutzes ist wichtig. Heuer etwa durfte sich das Publikum zum Tag des Denkmals am 15. September an der Auferstehung des eindrucksvollen Ringofens in Nendeln erfreuen. Nur, es genügt nicht, einmal hier und einmal dort ein Objekt zu retten. Letztlich werden diese Einzelaktionen Tropfen auf dem heissen Stein bleiben, währenddessen die Zeit davonläuft und das Gros der baukulturellen Zeugen mit atemberaubender Geschwindigkeit verschwindet. Für den Erhalt und die Revitalisierung alter Ensembles ist das zu wenig. Es bräuchte Entschlossenheit bei den Bürgern und beherzte Politiker.

Wir haben allein im August unwiederbringlich wieder Einiges von dem Wertvollen verloren, woran die Menschen in unseren Dörfern sich mit Auge, Herz und Sinne erfreuen könnten. Nein, ein schöner Sommer war es nicht!