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60Plus | 300 Jahre | Juli, 2019
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«Eine Liebeserklärung»

von Roland Rino Büchel, Nationalrat, Oberriet

Ich wünsche Euch allen auch in Zukunft Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand! Danke, dass die Schweiz Euch als Nachbarn hat. Danke, dass ich (als Rheintaler) Euch so nah sein darf.

Was für gesunde nachbarschaftliche Beziehungen wir doch pflegen! Nicht weil wir müssen. Sondern weil wir wollen. Wenn wir uns zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein etwas zu sagen haben, dann passiert das ganz undiplomatisch und direkt. Und, ganz wichtig: Wir respektieren die Unterschiede in unseren Staatsordnungen. Wenn man jemanden mag, ist man bei uns im Tal schnell per Du. Ich halte es hier nicht anders.

Ihr seid eine «konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage». Wir sind eine direkte Demokratie. Für die Staatstheoretiker sind die Unterschiede riesig.

Euer Fürstentum ist komplett anders aufgebaut als unsere Schweiz. Ihr seid eine «konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage». Wir sind eine direkte Demokratie. Für die Staatstheoretiker sind die Unterschiede riesig. Wir Lebenspraktiker kümmern uns nicht darum. Wir sind uns seit Generationen nahe, wir gingen und gehen zusammen durch dick und dünn.

Ich hatte keine Zeit, Recherchen über die letzten 300 Jahre anzustellen. Doch nur schon in den letzten gut 300 Tagen gab es 15 bundesrätliche Treffen mit dem Erbprinzen oder mit Mitgliedern der liechtensteinischen Regierung. Und die Einladungen Eurer Botschafterin Doris Frick (was für eine Repräsentantin für das Ländle!) auf ihre Residenz bleiben den Parlamentariern alljährlich in bester Erinnerung.

Überraschende geschichtliche Gemeinsamkeiten von Liechtenstein und der Schweiz

Unsere beiden kleinen Staaten im Herzen Europas haben zahlreiche Gemeinsamkeiten. Die überraschendste: beide sind Schuldenkrisen entsprossen. Unsere Entstehungsgeschichte beginnt damit, dass die Habsburger Geldsorgen hatten. So verpfändeten sie das Föhntal Uri. In der Folge konnten sich die Urner freikaufen. Wenig später taten es die Schwyzer den Urnern gleich. 

Das Glück währte allerdings nicht lange. Warum? Die Habsburger, von deren Herrschaft man sich losgekauft hatte, bestiegen bald selbst den Kaiserthron. 

Damit waren die Menschen für damalige Verhältnisse weitgehend frei. Sie waren einzig und allein dem Kaiser unterstellt. Man nannte das damals die «Reichsunmittelbarkeit». Das Glück währte allerdings nicht lange. Warum? Die Habsburger, von deren Herrschaft man sich losgekauft hatte, bestiegen bald selbst den Kaiserthron. Und man war wieder zurück auf Feld eins … Trotzdem: Die Innerschweizer wollten sich die gewonnene Freiheit nicht wieder nehmen lassen. Darum gründeten sie die Eidgenossenschaft. Das war im Jahr 1291.

Rund 400 Jahre später stand der Graf von Hohenems im hiesigen Föhntal derart in der Kreide, dass der Kaiser ihn absetzte und zur Schuldendeckung die Landschaften Schellenberg und Vaduz zum Kauf ausschrieb. Fürst Hans-Adam I. von Liechtenstein setzte sich gegen den ebenfalls kaufinteressierten Abt von St. Gallen und den Bischof von Chur durch. 1719 erhob der Kaiser Vaduz und Schellenberg zum Reichsfürstentum.

Liechtenstein und die Schweiz hingegen verfügen dank kleinräumiger und übersichtlicher Strukturen sowohl über solide Staatsfinanzen als auch über eine einigermassen tragbare Steuerlast.

Der analoge Ursprung in der Schuldenkrise mag ein Zufall oder eine Laune der Geschichte gewesen sein. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass grosse staatliche Gebilde und deren Exponenten oft und gerne über ihre Verhältnisse leben. Das ist heute nicht anders als früher. Liechtenstein und die Schweiz hingegen verfügen dank kleinräumiger und übersichtlicher Strukturen sowohl über solide Staatsfinanzen als auch über eine einigermassen tragbare Steuerlast. Das sehen nicht alle gerne. Darum werden wir immer wieder harsch kritisiert und bekämpft.

Schlechte natürliche Voraussetzungen für Aufschwung und Wohlstand

Die natürlichen Voraussetzungen, die wir beide haben, sind «schitter». Warum? Verfügen wir über Bodenschätze? Nein! Haben wir Anschluss an das Meer? Nein! Leben wir in einer wunderschönen Landschaft? Ja! Nur, das ist schwierig für die Landwirtschaft. Und, folgendes sage ich als Rheintaler: Der Rhein hat nicht immer so getan wie er hätte sollen. Die Überschwemmungen brachten Not und Elend in unser gemeinsames Tal.

Ich habe in ein paar alten Lexika geschmökert. Zum Beispiel im Brockhaus von 1838. Dort heisst es, Liechtenstein habe 6000 Einwohner. Der Haupterwerb sei die Viehzucht. Die Einkünfte des Fürsten betrugen damals offenbar 20000 Gulden pro Jahr. Seine Besitzungen in den östlichen Gebieten Österreich-Ungarns zählten 350000 Einwohner. Sie brachten eineinhalb Millionen Gulden.

11500 Einwohner; Haupterwerb aus Landwirtschaft und Textilindustrie; Schulen und Strassen gut. Die Weichen für den Aufschwung waren gestellt. 

Rund 100 Jahre später sah es etwas besser aus. In Meyers Lexikon von 1927 steht über das Fürstentum Folgendes geschrieben: 11500 Einwohner; Haupterwerb aus Landwirtschaft und Textilindustrie; Schulen und Strassen gut. Die Weichen für den Aufschwung waren gestellt. Und heute? Liechtenstein hat mit einem Unternehmen pro acht Einwohner die wahrscheinlich höchste Unternehmensdichte überhaupt.

Jetzt muss ich noch etwas sagen, was mir als Eidgenosse weh tut: Liechtenstein ist schweizerischer als die Schweiz und schlägt mein Land mit 3:0. Wie? Wo? Was? Ganz einfach: Nimmt man als Messlatte die politische Stabilität, dann stimmt das Resultat. Werfen wir einen Blick auf die Grenzen, den Frieden und den Wohlstand, um dies zu belegen.

Erstens zu den Grenzen: Wir Schweizer leben seit zwei Jahrhunderten innerhalb derselben Landesgrenzen. Das ist äusserst selten in Europa. Nur, Ihr übertrefft uns um fast hundert Jahre. Bei Euch gelten die Marksteine seit 1719, bei uns seit dem Wiener Kongress von 1815. Eins zu Null für Euch!

Zweitens zur friedlichen Aussenpolitik: Die Schweiz verzichtet seit Marignano auf militärische Abenteuer. 1815 wollte sie mit dem Angriff auf die französische Festung Hüningen bei Basel nochmals gross tun. Von liechtensteinischen Feldzügen hingegen ist mir nichts bekannt. Zwei zu Null für Euch!

Drittens zum Wohlstand: Die Schweiz gilt weltweit als reich. Aber gemäss einer ausführlichen Studie der liechtensteinischen Regierung stellte sich unlängst heraus, dass das verfügbare Einkommen bei Euch höher ist als bei uns. Drei zu Null für Euch!

Hinter dem Wunder steckt eine beträchtliche Leistung. Dass Ihr heute da steht, wo Ihr steht, ist alles andere als selbstverständlich. 

Es erscheint fast schon unheimlich, dass sich ein Kleinstaat so lange von den Irrungen und Wirrungen der Zeit fernhalten konnte. Nur, das ist kein Zufall. Hinter dem Wunder steckt eine beträchtliche Leistung. Dass Ihr heute da steht, wo Ihr steht, ist alles andere als selbstverständlich. Es hat erstens mit einer bescheidenen, arbeitsamen und bauernschlauen Bevölkerung und zweitens mit einer umsichtigen Staatsführung zu tun.

Ich wünsche Euch allen auch in Zukunft Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand! Danke, dass die Schweiz Euch als Nachbarn hat. Danke, dass ich (als Rheintaler) Euch so nahe sein darf!

Roland Rino Büchel

Der 53jährige Oberrieter Sportmanager und Kleinunternehmer Roland Rino Büchel sitzt seit 9 1/2 Jahren im Nationalrat. Er hat für das Aussenministerium und im Sport in fast 20 Ländern gearbeitet und spricht fünf Sprachen. Büchel ist Mitglied des Büros des Nationalrats und der Aussenpolitischen Kommission, welche er während zweier Jahre präsidierte, bevor er den Stab turnusgemäss weitergab. Er tritt in den Herbstwahlen sowohl für den National- als auch für den Ständerat an.