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60Plus | In Memoriam | März, 2023
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Nachruf auf Werner Ospelt

(1940–2022) von Marcus Büchel

Die Auseinandersetzung zwischen Werner Ospelt und dem Bürgermeister war heftig gewesen. Auf dem Rückweg zu seinem Haus trug mir Werner unvermittelt auf, für ihn eine Trauerrede zu halten, «wenn es denn so weit sei». Jahre nach dieser emotionalen Unterredung, war es so weit: Werner verstarb in der Nacht des 16. August 2022. Vorgeschädigt war sein Herz; seine unglaublich agile Lebensweise liess jedoch niemanden daran denken, dass es bei ihm, dem 82-Jährigen, aufhören könnte zu schlagen. Werner hatte wie immer «volles Programm» und stand im Begriff, die Herbstausgabe des Seniorenmagazins zu planen. Die Nummer 2/August 2022 sollte sein letztes Werk gewesen sein. 

Unter all den zahlreichen Ämtern, die Werner bekleidete, und Funktionen, die er ausfüllte, war für ihn das Engagement fürs 60PLUS gewiss etwas Besonderes, ein Herzensanliegen.

Erste Periode 2003–2009 –das «Amtsblatt»

Das Magazin entstand als Spätfolge des Internationalen Jahres der älteren Menschen. Dieses, für 1999 von der UNO proklamierte Jahr, wurde in Liechtenstein mit einem umfangreichen Programm begangen. Von ihm sollten zahlreiche Impulse für die Alterspolitik mit möglichst langfristiger Wirkung ausgehen. Eine Idee war, sämtliche Organisationen im Lande, die sich mit älteren Menschen befassen, in einem Gremium zu organisieren. In diesem Sinne wurde von der Regierung der Koordinierungsausschuss für Altersfragen eingesetzt. Als Vorstand des Amtes für Soziale Dienste war ich mit der Leitung dieses Gremiums betraut worden. Unser Vorschlag, eine Zeitung bzw. ein Magazin ins Leben zu rufen, mit welchem die Senioren und Seniorinnen landesweit erreicht werden könnten, wurde von der Regierung aufgegriffen und sollte also umgesetzt werden. Mir oblag die Aufgabe, ein Redaktionsteam zusammenzustellen. Auf der Suche nach geeigneten Personen stellte sich der mir damals noch unbekannte 62-jährige Werner Ospelt vor. Er zeigte sich brennend interessiert, die Redaktion zu übernehmen und ein Team zusammenzustellen.

Darüber hinaus sollte das Team mit Werner als dem leitenden Redakteur frei arbeiten können. Werner schätzte es sehr, nicht bevormundet zu werden und über grossen Gestaltungsspielraum zu verfügen. 

Werner gelang es, ein Team journalistisch interessierter Senioren zur Mitarbeit zu gewinnen. Ein Magazin, welches vierteljährlich erscheinen sollte, wurde konzipiert. Nach umfangreichen Vorbereitungen ging das neue Seniorenmagazin 60PLUS 2003 erstmals in Druck. Im Grunde genommen handelte es sich, als vom Land finanziert und von einem Regierungsorgan herausgegeben, um ein staatliches Presseerzeugnis. Als Vertreter des Herausgebers oblag mir die Verantwortung für das Magazin. Es entsprach meinem Verständnis dieser Funktion, mit dem Redaktionsteam die Blattlinie sowie die jährliche Leitlinie zu erarbeiten. Darüber hinaus sollte das Team mit Werner als dem leitenden Redakteur frei arbeiten können. Werner schätzte es sehr, nicht bevormundet zu werden und über grossen Gestaltungsspielraum zu verfügen. Dieses Modell bewährte sich über all die Jahre bestens.

Ohne Glorifizierung der Vergangenheit kann ich nüchtern die Feststellung machen, dass unser Verhältnis nie durch Konflikte oder unüberwindbare Auffassungsunterschiede getrübt wurde. Das war insofern sehr interessant, als dass wir weder inhaltlich noch stilistisch deckungsgleiche Vorstellungen hatten. Es war wohl eine seltene Mischung von Respekt und Toleranz auf der Basis von Vertrauen, die dieses harmonische Verhältnis ermöglichte. Bei aller Unterschiedlichkeit bestand auf einer Metaebene Konsens. Gewiss verband uns in aller Sorge die Liebe zum Land. Auf dieser Grundlage konnte man mit Werner, der Sache verpflichtet, herrliche Streitgespräche führen, die nie zu persönlichen Verwerfungen führten. Damit sind einige von Werners hervorragendsten Charaktereigenschaften bereits zum Anklingen gebracht. 

In unseren redaktionellen Klausuren haben wir, speziell Werner und ich, es bewusst zur Blattlinie erklärt, dass wir unterschiedlich sind, sowohl in stilistischer Hinsicht, aber auch in manch ideologischer Auffassung. Das wollten wir nicht einebnen oder gar verheimlichen. Das Blatt sollte von diesem Spannungsfeld profitieren, Profil gewinnen. Werner war in seiner Grundhaltung eher konservativ und volkstümlich, ich neigte zur Provokation und zum Intellektuellen. Die von uns beiden gepflegten Unterschiedlichkeiten boten den Rahmen für eine Vielfalt der Meinungen, die in unserem Magazin Platz fanden. Wie sich später erweisen würde, war dies ein wichtiger Grund für den Erfolg unseres Magazins.

Zwischen Werner und mir bildete sich im Verlauf der Jahre ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis. Er und seine Redaktionskolleginnen und -kollegen arbeiteten tüchtig und produzierten ein Magazin, welches bald vier Mal im Jahr erschien und zunehmend an Qualität und Profil gewann, was sich entsprechend auswirkte. Die Zeitschrift wurde bei den Lesern immer beliebter.

Zweite Periode: 2010–2022 –Der Verein als Herausgeber

Sieben Jahre lang erschien 60PLUS unter den «amtlichen» Rahmenbedingungen. Um 2009 beschloss die neue Regierung jedoch, den Koordinierungsausschuss aufzulösen. Infolgedessen wurde das Seniorenmagazin heimatlos. Die Zeitschrift musste auf neue, private Beine gestellt werden, wenn sie weiterexistieren sollte. Werner packte die Herausforderung ohne zu zögern an. Er gründete mit seinen Redaktionskolleginnen und -kollegen – fast alle waren seit Anfang dabei – einen privaten Träger, den Verein InDas Liechtensteiner Senioren Magazin 60PLUS, der fortan als Herausgeber fungierte. Werner übernahm selbstverständlich das Amt des Präsidenten des neuen Vereins und es gelang ihm, zusammen mit dem Redaktionsteam1, diesen schwierigen Übergang zu meistern.

2012 stiess ich nach dreijähriger Abstinenz wieder dazu. Nachdem ich mich in diesem Jahr von der Amtsleitung in die Pension verabschiedet hatte, erhielt ich einen der ersten Anrufe von Werner: «Du muascht id Redaktion ko». Das war weniger eine Anfrage als ein «Befehl». Widerspruch war von vorneherein zwecklos. In Tat und Wahrheit freute mich, dass er mich damit zum Redakteur «ernannt» hatte, war es doch ein Beleg für das Vertrauen und die Wertschätzung zu werten, die er mir etliche Jahre nach der gemeinsamen Tätigkeit für das «Amtsblatt» entgegenbrachte. Nun war er der Chef, ich das einfache Redaktionsmitglied. Aus der Hierarchieumkehr resultierte, wie sich über die Jahre hinweg erweisen sollte, nicht der leiseste Anflug für Konflikte. 

Die Herausforderungen für den neuen/alten leitenden Redakteur waren erheblich: Ein erstrangiges Ziel, welches Werner mit Beharrlichkeit verfolgte, bestand darin, die Professionalisierung des Magazins in Aufmachung und Inhalt voranzutreiben.

Die staatliche Förderung wurde zwar weiter gewährt, reichte aber für das absolut notwendige nicht aus, geschweige für die Verwirklichung der ambitionierten Ziele. Zusätzliche Finanzmittel mussten also eingebracht werden.

Ein stetiger Unsicherheitsfaktor waren die Finanzen. Die staatliche Förderung wurde zwar weiter gewährt, reichte aber für das absolut notwendige nicht aus, geschweige für die Verwirklichung der ambitionierten Ziele. Zusätzliche Finanzmittel mussten also eingebracht werden. Das waren einerseits Inserate, bezahlte Beiträge und Partnerschaften. Daneben waren in erheblichen Ausmass Spenden zu lukrieren, ohne die das finanzielle Überleben nicht möglich gewesen wäre. Im Zuge der Sparmassnahmen des Landes kam es 2015 zu einer besonders schmerzhaften Kürzung bereits zugesprochener Mittel während des laufenden Geschäftsjahres. Werner schaffte es, auch diese Krise zu bewältigen, was ihm kurzfristig dank grosszügiger Spender gelang. 

Werner war ein Mann des Wortes; das prägte auch 60PLUS. Seine journalistische Spezialität waren die von ihm zu seiner ganz persönlichen Ausdrucksform entwickelten Porträts, die er auf der Grundlage ausführlicher Gespräche mit Senioren und Seniorinnen zu malen verstand. Die «Porträts» wurden zu seinem Markenzeichen, deren Grundlage das Gespräch. Es ist kein Zufall, dass es der Dialog war –der seit der Antike wohl prominenteste Ausdruck des Wesens des Menschseins –, den Werner pflegte. 

Werner war ein sicheres Gespür für Sprache und Stil eigen. Wenn er sich zu dem Lob hinreissen liess «Das häscht guat gschreba» – das konnte erst nach Tagen Bedenkzeit sein –, dann konnte man die Gewissheit haben, dass der Text wirklich gelungen war.

Er entwarf die Ausgabenplanung, holte die Beiträge bei den Autoren ein, überwachte die grafische Gestaltung, organisierte alles, vom Druck bis zur Verteilung.

In seinem Haus im Vaduzer Bangarten spielte sich alles ab: Hier war der Sitz der Redaktion, hier tagte der Verein; sämtliche Fäden liefen in seinem Haus zusammen. Werner oblag die Verwaltung, lediglich von einer Mitarbeiterin seines Verlags unterstützt. Er entwarf die Ausgabenplanung, holte die Beiträge bei den Autoren ein, überwachte die grafische Gestaltung, organisierte alles, vom Druck bis zur Verteilung. Werners grosse Begabung bei der Beschaffung von Finanzen wurde bereits angesprochen. Sein unüberblickbar grosses Beziehungsnetz kam ihm dabei zugute. 

Die gesamten Prozesse lagen erst- und letztverantwortlich in seiner Hand. Werner war die zentrale Figur unseres Magazins, von der alles ausging und bei der alles zusammenlief. Zugleich fungierte er als leitender Redakteur als auch als Herausgeber. Nebst dem, was er sonst noch alles machte, war allein für 60PLUS ein enormes Arbeitspensum einzusetzen. Sein Arbeitseinsatz, sein unermüdliches Engagement, sein Um-alles-bekümmert-Sein, bewunderten wir alle; er schien von schier übermenschlicher Kraft gespiesen.

Er konnte einen polternd ansprechen, aber man spürte gleich, dass in der Bärenhaut ein sensibler, mitfühlender Mensch steckt, dem Böses fremd war.

Werner war mit einem facettenreichen Charakter ausgestattet. Er schien autoritär, war aber im Grunde tolerant. Er konnte einen polternd ansprechen, aber man spürte gleich, dass in der Bärenhaut ein sensibler, mitfühlender Mensch steckt, dem Böses fremd war. Was er suchte, war die Auseinandersetzung; das war für ihn nicht bloss intellektueller Sport. Er war von seiner Grundhaltung konservativ, liess sich aber von anderen Positionen überzeugen – aber nur dann, wenn man gut argumentierte. Es ging ihm um Erkenntnis und Wahrheit. So verwundert es nicht, dass bei ihm in Diskussionen heftige Emotionen aufflammen konnten. Natürlich kamen nicht alle mit seinem kantigen Charakter zurecht.

Obwohl er sehr kritisch sein konnte, war er Menschen zugetan; und er war gastfreundlich. Nach Vereinsversammlungen kamen wir stets in den Genuss einer reichhaltige Tafel, die er auftischen liess. 

Werner zeichnete sich durch Beständigkeit und Zuverlässigkeit aus. Dabei konnte es gut sein, dass Werner auf Mails oder WhatsApp nicht reagierte, sei es aus Abwehr von Unangenehmem oder aus Überforderung. Für Versäumnisse oder Fehler pflegte er sich – oft zerknirscht – zu entschuldigen; er gelobte Besserung. Auch wenn es (einmal) vorkam, dass die Weihnachtsausgabe im Jänner erschien, stets wurde die Pflicht erfüllt. Von übersteigertem Narzissmus war Werner frei, im Gegenteil, er hatte im Grunde ein bescheidenes Wesen: Die Welt drehte sich nicht um ihn; es ging ihm um die Sache und um die Menschen, mit denen er sich befasste. 

Gelassen hingegen reagierte er auf Versuche der Einflussnahme auf die Redaktion, wenn etwa politische Mandatsträger drohten, den Beitrag ihrer Gemeinde zu streichen, weil wir nicht in ihrem Sinne geschrieben hatten oder es wagten, Kritik zu üben.

Auseinandersetzungen ging Werner nicht aus dem Weg, im Gegenteil. Aber er verharrte auch nicht im Grimm, bot Hand zur Versöhnung. Wurde sein Werk oder auch er angegriffen, konnte er heftig werden. Gelassen hingegen reagierte er auf Versuche der Einflussnahme auf die Redaktion, wenn etwa politische Mandatsträger drohten, den Beitrag ihrer Gemeinde zu streichen, weil wir nicht in ihrem Sinne geschrieben hatten oder es wagten, Kritik zu üben. Unter Druck setzen liess sich der leitende Redakteur nicht; schon gar nicht vermochten derartige Interventionen seine Loyalität gegenüber seinen Kollegen zu löchern. Werner hatte sich ein enormes Arbeitspensum aufgeladen. Neben 60PLUS betrieb er seinen eigenen Verlag und amtete in verschiedenen Funktionen. In den Entspannungsmodus kam er nach jeder Ausgabe, sobald er aufgrund der Reaktionen merkte, dass diese Nummer wieder gut gelungen war. «Es ischt guat akoo», pflegte er dann mit Befriedigung zu sagen.

Unvergessen werden allen, die ihn kannten, seine amüsanten Gewohnheiten bleiben. Er konnte etwa auf dem Festnetz anrufen und fragen: «Bischt dahäm?» Man musste ihn einfach gernhaben, diesen stattlichen Mann, unter dessen Bärenfell sich die Konturen seiner zarten und liebenden Seiten, ebenso wie seine väterliche Fürsorglichkeit unschwer erkennen liessen.

Werner prägte massgeblich ein Magazin, welches sich Liechtenstein und seine Menschen zum Thema machte und in Liechtenstein Bedeutung erlangte.

Es ist schon sehr beachtlich, was Werner mit seinem Magazin zustande brachte. 8500 Auflage bei viermaligem Erscheinen im Jahr, eine generationsübergreifende Leserschaft, die zahlenmässig weit über die Auflage hinausgeht; ein hochgeschätztes, erfolgreiches Magazin, welches nicht nur unterhält und bildet, sondern auch aktuelle politisch-gesellschaftliche Themen aufgreift. Werner prägte massgeblich ein Magazin, welches sich Liechtenstein und seine Menschen zum Thema machte und in Liechtenstein Bedeutung erlangte. Immer wieder haben wir über seine Entlastung gesprochen, was angesichts des fortgeschrittenen Alters naheliegend war. Auch eine Nachfolgeregelung habe ich wiederholt angesprochen. 

Es war Werner ein grosses Anliegen, dass 60PLUS nach ihm weitergeführt wird. Ich glaube, es entsprach in diesen Momenten, in denen er auf die Nachfolge angesprochen wurde, seiner authentischen Überzeugung, dass er versicherte, dieses Thema anpacken zu wollen. Getan hat er es nie. Vielmehr versah er unbeirrbar bis zu seinem Tod seine sich selbst auferlegte Pflicht. Als er nicht mehr da war, sahen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass nichts geregelt war; niemand wusste, wie es weitergehen soll. Werner, so deute ich es, hatte wohl nicht die Kraft, sich aus eigenem Entschluss vom Seniorenmagazin 60PLUS zu trennen. 

Werner war zeitlebens ein Macher im Dienste seiner Ideen; diese wollte er umsetzen. Anderen bot er Möglichkeiten, mitzuwirken, selbst in vielseitiger Hinsicht tätig zu werden. Er rang nicht nur sich selbst Leistung ab, sondern verlangte dergleichen auch von anderen.

20 Jahre haben Werner und ich das Projekt 60PLUS gemeinsam betrieben, was zu einer vertrauten, freundschaftlichen Beziehung führte. Im vergangenen August hatten wir mit Trauer nicht nur von unserem leitenden Redakteur, sondern auch von einem Freund Abschied zu nehmen. Wir verdanken ihm ein bedeutendes Erbe, welches er hinterlassen hat. Liechtenstein verliert mit Werner Ospelt einen passionierten und äusserst verdienstvollen Zeitungsmacher und Publizisten.

Schaffensstationen

  • 1993–1997 Landtagsabgeordneter (FBP)
  • 1968–2000 BiL/LGT PR/Kommunikation
  • ab 2001 selbstständiger PR-Berater
  • 2002–2022 Leitender Redakteur 60PLUS
  • 1993–1997 Landtagsabgeordneter (FBP)
  • 1983–1991 Mitglied Vaduzer Gemeindeschulrat
  • 1983–1990 Präsident Elternvereinigung Vaduz
  • 1992–2004 Präsident Leichtathletikclub Vaduz
  • 2004–2012 Verwaltungsrat AHV/IV/FAK
  • 2007–2015 Präsident Operettenbühne Vaduz
  • 2005–2017 Vorstandsmitglied Liecht. Patientenorganisation
  • 2008–2022 Präsident Liecht. Mundartstiftung