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60Plus | Im Blickpunkt | April, 2021
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Senioren und Kriminalität

Von Jules S. Hoch, Polizeichef

 

Beschäftigt sich die Polizei mit Menschen der Generation 60PLUS, so tut sie dies meist unter einer Opferperspektive. Aufgrund der demographischen Entwicklung wächst die Anzahl der Menschen über 60 auch in Liechtenstein stetig. Dank der in Liechtenstein gut ausgebauten Altersvorsorge mit AHV, Pensionskasse und privatem Sparen können sich viele auf ein zumindest finanziell sorgenfreies Rentenalter freuen. Doch nachlassende Körperkräfte und ein relativer Wohlstand machen sie auch zu einer interessanten Opfergruppe. 

So ist es nur folgerichtig, dass sich die Weihnachtsausgabe von 60PLUS diesem Phänomen gewidmet hat und der Kripochef der Landespolizei zu Kriminalitätsphänomenen Auskunft erteilt hat, von denen vor allem auch ältere Menschen betroffen sind. Die Bemühungen der Landespolizei zielen denn ja auch darauf ab, eine Viktimisierung dieser Bevölkerungsgruppe durch präventive Massnahmen zu verhindern. Dazu gehört auch die Aufklärung über bekannte Phänomene wie «Enkeltrickbetrug», «falsche Polizisten» und andere «Modi Operandi».

Graue Kriminalität – Senioren als Straftäter

Die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft rückte in den letzten Jahren aber auch verstärkt die Alterskriminalität ins Blickfeld. Grundsätzlich nimmt die Kriminalitätsbelastung mit dem Lebensalter bis ins frühe Erwachsenalter zu und sinkt dann wieder, bis sie im hohen Lebensalter einen Tiefpunkt erreicht. Entwicklungsbedingt beschäftigen daher delinquierende Jugendliche und junge Erwachsen die Polizei am stärksten. Mit dem Altern der Gesellschaft könnte sich die Zahl der straffälligen Senioren in den kommenden Jahren jedoch erhöhen. Bereits 2010 titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): «Graue Delinquenz. Eine französische Studie warnt vor explosionsartiger Zunahme der Alterskriminalität». Und 2013 hielt die Deutsche Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Fachtagung zum Thema «Graue Kriminalität – Senioren als Straftäter» ab. 2015 befasste sich das Europäische Forum für angewandte Kriminalpolitik anlässlich eines Fachdiskurses in der Strafanstalt Saxerriet mit dem Thema «Altwerden im Freiheitsentzug – Senioren im Zwangskontext». Und 2018 titelt das St. Galler Tagblatt etwas reisserisch: «Im Thurgau hat sich die Zahl der kriminellen Rentner verdoppelt».

Forschungsergebnisse zur Alterskriminalität in unseren Nachbarländern zeigen, dass ältere Straftäter auffällig häufig Eigentums- und Vermögensdelikte verüben. Darunter hat es explizit viele, die im Rentenalter erstmals polizeilich auffällig werden. Man spricht in diesem Zusammenhang dann von «Spätkriminalität». Dieser Umstand und die von 60Plus-Tätern vorwiegend verübten Delikte – namentlich Ladendiebstähle, kleiner Betrügereien, Beleidigungen, Drohungen – verweisen für das Lebensalter spezifische Motivlagen. Im Vordergrund stehen dabei die Altersarmut, die mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben offenbar ein zentrales Tatmotiv ist, sowie psychische Krankheiten, die zu sozial auffälligem bzw. eben auch deliktischem Verhalten führen können. Dennoch: die «Grauen Kriminellen» sind im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen nach wie vor weit weniger polizeilich auffällig.

60Plus Abteilungen im Strafvollzug

Nichtsdestotrotz stellt man sich im Strafvollzug auf immer mehr ältere Insassen ein. Nimmt in den nächsten Jahren die Zahl der Verurteilten jenseits der 70, die ihre Strafe in Strafanstalten verbüssen müssen, tatsächlich zu, ist der Strafvollzug mit ganz neuartigen Herausforderungen konfrontiert. Die Strafanstalten sind meist baulich nicht auf Insassen ausgerichtet, die Unterstützung bei der Alltagsbewältigung benötigen (Barrierefreiheit, geräumige Toiletten, Badelifte usw.). Zudem sind Massnahmen und Angebote im Strafvollzug auf Resozialisierung und berufliche Integration ausgerichtet, was bei 60Plus-Insassen nur wenig Sinn macht. Aus diesem Grund entstehen in grösseren Strafanstalten spezielle «60Plus Abteilungen». In Baden-Württemberg existiert bereits ein eigenes Seniorengefängnis, wo ausschliesslich Insassen ab 62 einsitzen. Die Einrichtung ist mit einer durchgehenden Rollstuhlgängigkeit und zusätzlichen Sicherheitsgriffen an Duschen und Toiletten speziell auf das Alter und den Gesundheitszustand der Senioreninsassen ausgerichtet.

Alterskriminalität kein Thema in Liechtenstein

In Liechtenstein ist die Alterskriminalität bisher kein Thema. Das zeigt sich auch daran, dass die Kriminalstatistik keine Angaben zur Tätergruppe 60Plus macht. Dies im Unterschied zur Jugendkriminalität, da das Verhalten gewisser Vertreter dieser Altersgruppe regelmässig in der Öffentlichkeit und in der Politik zu reden gibt (Stichwort: Schaan Post). Das macht datenbasierte Aussagen zur Situation der Alterskriminalität in unserem Land schwierig. Allerdings kann aufgrund der Kleinheit und Überschaubarkeit des kriminalgeographischen Raums «Liechtenstein» auch ohne statistisches Material festgestellt werden, dass sich das Phänomen in unserem Land weniger dramatisch als anderswo präsentiert.

Das Phänomen der stehlenden und beleidigenden Rentner und Rentnerinnen ist daher bei uns erfreulicherweise eher selten.

Altersarmut kommt bei uns weniger ausgeprägt vor und gleichzeitig sind die sozialen Auffangnetze enger geknüpft als in anderen Staaten. Das Phänomen der stehlenden und beleidigenden Rentner und Rentnerinnen ist daher bei uns erfreulicherweise eher selten. Hingegen sind gerade in jüngerer Vergangenheit wiederholt ältere Tatverdächtige aus dem Finanzbereich wegen Vermögensdelikten (Betrug, Untreue) von der Landespolizei angezeigt und vom Landgericht verurteilt worden. Ein Phänomen, das auch den grossen Veränderungen auf dem Finanzplatz und den dadurch verschärften Wettbewerbsbedingungen geschuldet sein dürfte. Und natürlich gibt es gelegentlich auch Einzelfälle von älteren Straftätern in anderen Kriminalitätsfeldern (Häusliche Gewalt, Sexualdelikte usw.).

Das Landesgefängnis als Untersuchungsgefängnis ist nur bedingt auf eine ältere Insassenpopulation vorbereitet. Da Haftstrafen jedoch ohnehin in Österreich vollzogen werden, besteht aktuell auch kein eigentlicher Handlungsdruck.

Ältere Bevölkerung durch Kriminalprävention schützen

In Liechtenstein sind wir in der glücklichen Lage, dass die Generation 60Plus die dritte bzw. vierte Lebensphase grossmehrheitlich in abgesicherten sozialen und finanziellen Verhältnissen erleben darf, was selbstredend kriminalitätshemmend ist. Andererseits können genau diese «abgesicherten» Verhältnisse die Generation 60Plus aber auch zum Ziel von Kriminellen machen. Zwar ist Strassenkriminalität in Liechtenstein praktisch unbekannt. Ältere Menschen müssen daher bei uns kaum Angst haben, Opfer von Trickdiebstählen und Raubdelikten zu werden. Hingegen werden auch bei uns Senioren und Seniorinnen durch Einschleichdiebstähle und Betrugsdelikte finanziell geschädigt und psychisch traumatisiert. 

Für die Landespolizei als bürgernahe Polizei bleibt es in der Kriminalprävention daher ein zentrales Anliegen, die ältere Bevölkerung in Liechtenstein vor diesen Delikten zu schützen. Sie wird deshalb auch künftig die Generation 60Plus regelmässig in den Medien, bei Vorträgen oder eben auch im persönlichen Gespräch auf mögliche Opferrisiken hinweisen und konkrete Verhaltensempfehlungen geben. Dies, damit das Rentenalter in unserem Land nicht nur in stabilen sozialen und finanziellen Verhältnissen erlebt, sondern auch in Sicherheit und frei von Kriminalitätsfurcht gestaltet werden kann.

Jules S. HOCH, Polizeichef

Im Juli 2013 wurde Jules Hoch von der Regierung zum Chef der Landespolizei des Fürstentums Liechtenstein bestellt. Seit Februar 1999 war er Chef der Kriminalpolizei bei der Landespolizei. Jules Hoch absolvierte ein sozialwissenschaftliches Studium an der Universität Fribourg/CH, das er 1991 mit dem Lizenziat abschloss. Nach seinem Studium leitete er einen polyvalenten Sozialdienst in der Schweiz, ehe er 1999 zur Landespolizei wechselte. 1997 absolvierte er den Nachdiplomstudiengang «Management von Non-Profit Organisationen» am Institut Schloss Hofen in Bregenz/A. 1999/2000 schloss er die berufsbegleitende Ausbildung zum Polizeioffizier am Schweizerischen Polizeiinstitut SPI in Neuenburg/CH ab. Jules Hoch ist Jahrgang 1963, geschieden und hat drei erwachsene Kinder.