zurück
60Plus | Wia Seet Ma | Juli, 2018
A A

Wia seet ma?

Fluchen und Schimpfen, Teil 1

Fluchen und Schimpfen: In manchen Kulturen, Gesellschaftsschichten oder am Mittagstisch nach wie vor verpönt, aber Hand auf‘s Herz: Ist es in gewissen Momenten des Schmerzes, des Zorns oder der Überraschung nicht einfach auch eine herrliche Form des unmittelbaren Ausdrucks, was gerade in einem vor sich geht? Ein befriedigender Befreiungsschrei? Ein tiefer Blick in die soeben geschundene Seele? Und welch ein Glück haben all jene Menschen, die sich dabei in einem kernigen, unmissverständlichen Arsenal an Dialektflüchen und Mundartschimpfwörtern bedienen können, harrgolenti nochamol!

Religiöser Zusammenhang

Bevor wir uns mit der Zauberwelt der heimischen Flüche und Schimpfwörter befassen wollen, lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Denn besonders das Fluchen, das vermutlich eines Tages im Munde eines stolpernden Urmenschen entstanden ist, war in vielen Kulturen lange Zeit verboten, besonders, wenn der Fluch Gott oder dem Teufel galt. Einerseits bedeutete er bis ins Zeitalter der Aufklärung eine Herabsetzung und Entwertung des Eid-Schwures, andererseits kam er gemäss dem 2. Gebot einer Gotteslästerung gleich. Der Schweizer Historiker Urs Hafner schrieb hierzu in seinem Artikel «Wer flucht, tut Gutes»: «Wer im Namen Gottes schimpft, untergräbt dessen Autorität und bedroht damit die weltliche Herrschaftsordnung, die sich auf das Göttliche beruft. Unter der Hand aber – ob das den Pfarrern bewusst war? – bestätigt der Fluchende die religiöse Weltsicht; wer Gott verflucht, anerkennt dessen Macht.»

Der Liechtensteiner Historiker Peter Kaiser (1793–1864) zitierte in seinem Hauptwerk «Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein» aus dem Jahre 1847 aus der Polizeiordnung von 1577, welche auf dem Reichstage zu Frankfurt entworfen und allen Reichsständen – und damit auch auf dem Gebiet des späteren Liechtensteins – zur Nachahmung aufgetragen wurde: «Da diese böse Gewohnheit leider bei Jung und Alt, Weibs- und Mannspersonen im Schwunge ist, wodurch Gott, der Allmächtige, schwer beleidigt wird und oft Theurung, Hunger, Misswachs, Krieg und Krankheit entsteht, so sollen alle eingesessenen Ordensleute, Pfarrer, Kapläne, Frühmesser und alle Priester, die dem Gottesdienst vorstehen und die Pfrunden darum nützen, in ihren Predigten das Volk fleissig ermahnen, unterrichten und ihm einen Abscheu beibringen vor der gräulichen Gotteslästerung mit Fluchen und Schwören, alle Amt- und Gerichtsleute und sonderlich Hausväter und Hausmütter sollen an sich selbst dies sündliche und ärgerliche Leben abthun und ihre Untergebenen durch gutes Beispiel eben dahin bringen.» Andernfalls sollen sie «vor den Amtleuten oder vor einem gesessenen Gericht mit einer Ruthe in Grösse einer Henkersruthe gezüchtigt und gestraft werden, andern zu einem Exempel.» Diese Polizeiordnung blieb als ein «Grundgesetz» bis ins Jahr 1806 in Kraft.

Das Fluchen auf Gott und Teufel büsste aber ab dem 18. Jahrhundert ohnehin seine Magie ein und wurde durch Flüche, die sich auf den Unterleib und seine «Funktionen» konzentrierten, abgelöst. Dennoch haben sich gerade im Dialekt «religiöse» Flüche erhalten können, auch wenn sie heutzutage nicht mehr unbedingt als solche erkennbar sind, da sie leicht «umgebaut» wurden. So zum Beispiel «Oh jemine!» (Oh Jesus Domine), «Zefix (Kruzifix), «Sackzement!» oder«Harrgotzakrament!/Heilandzack(Herrgott/Heiland Sakrament), «Harrgolenti (Herrgott und Heiland), «Heimatland!» (Heiland) oder «Sapperlot!» (aus dem Französischen: sacre lot! Heiliges Los). Anders verhält es sich aber mit dem Ausruf «Kruzitürken!». Dieser Begriff stammt von den Kuruzen (lat. crux, das Kreuz), ehemaligen ungarischen Kreuzzüglern, die sich in Ungarn ab dem 17. Jahrhundert gemeinsam mit den Türken gegen die Habsburger auflehnten, woraus sich der Warnruf «Kruzitürken!» ergab. Der Name «Kuruzen» steckt auch im österreichischen Namen für den Mais («Kukuruz»), der von den Türken in Ungarn eingeführt wurde. In Liechtenstein hat sich dadurch der Name «Törka» für den Mais erhalten.  

Christliche Anrufe

In den Notizheften der Vaduzer Mundartdichterin Ida Ospelt-Amann (1899–1996) finden sich unter dem Titel «Christliche Anrufe» weitere Dialekt-Stossseufzer: «Ums Himmels wella!», «a Gotts heiligi Namma!», «der tausig Gotts wella!», «Heilige Maria und Sankt Anna!», «Jösis Mareia und Josef!», «tröschti der Härgott!», «Gott sägnis!», «wenns Gotts Well ischt!», «a ewigs Krüz!», «Gott bhüat mi dervor!» und «Ums Himmels Christi wella!». An anderen Stellen in ihren Notizen finden sich auch Ausdrücke wie «Pfutterteifel und «Sack und Bendel.

Kog, War und Hag

Bei der Beschäftigung mit Flüchen und Schimpfwörtern im Liechtensteiner Dialekt sind immer wieder drei Begriffe aufgetaucht, die älteren Datums sind und auch in verschiedenen Kombinationen untereinander auftreten können: «Kog», «War» und «Hag». Oder «Kogawar» und «Hagwar». «Kog» (auch: «Koga» oder «Choga») im Sinne von «schwieriges Wesen» ist gemäss Joseph Ospelt in seinem Beitrag «Vaduzer Sprüche» im Historischen Jahrbuch Band 17, erschienen 1917, «in Vaduz ein ziemlich harmloses Schimpfwort […]. Als Substantiv ist es aber auch besonders im Unterland die Bezeichnung für einen Kadaver». Es wird aber auch adverbial verwendet, z. B. in «das ischt a khoga Gschecht» (das ist eine üble Geschichte). In der Kombination «keiba Kog» ist es ein Schimpfname, in der Kombination «keiba Kögli» kann es auch ein Kosewort sein. In der Verbindung «Saukog» oder sogar «himmeltruuriga Saukog» ist es aber schon sehr verletzend gemeint.

«Hag» oder «Hagen» bedeutet «Lümmel», kann aber auch in einem anderen Zusammenhang «Zuchtstier» bedeuten. Bekannt ist hier der Ausdruck «Hagaschwanz», also gemäss Jutz «die getrocknete Zuchtrute eines Stieres; dient als Züchtigungsmittel für Kinder oder Tiere».

Der Begriff «War» wird wie das deutsche Wort «Ware» für die Gesamtheit von etwas benutzt. Meint es zum Beispiel Kinder, wie etwa «Goofawar», so ist die Bedeutung in der Regel neutral. Negativ behaftet ist die Kombination, wenn es sich um eine vermeintlich minderwertige Gesellschaft, eine Familie oder Vaganten handelt. So in «Kogawar», «Hagwar», «Zaanamacherwar» oder «Zigünerwar».

Diese Reihe über Flüche und Schimpfwörter wird fortgesetzt. Gerne nimmt die Redaktion hierzu weitere Dialektbeispiele entgegen. Bei einer allfälligen Zusendung an die Redaktion von «60PLUS» wäre es gut, wenn auch eine Übersetzung oder zumindest eine Angabe zur Situation mitgeliefert wird, in welcher das entsprechende Schimpfwort oder der Fluch gebraucht wird.