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60Plus | Fokus | Juni, 2023
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Von Furcht und Faszination

Der Föhn in Balzers. Von Kenny Vogt

«Ma hört dr Pfööh ko!» – darüber ist sich die Balzner Bevölkerung längst einig. Oft vergehen nur Minuten, selten aber auch Stunden, bis die ersten Böen vom Fläscherberg kommend durch das Dorf fegen. Doch das zwischenzeitlich hörbare Rauschen aus den Bergwäldern weist unverkennbar auf den Auftritt des (zweit-)ältesten Liechtensteiners hin. Der unbeschreibliche Geruch, welcher sich während dieser Zeit mit den auffrischenden Böen ausbreitet, ist ein weiteres untrügliches Zeichen für den warmen Fallwind. Ein Beweis, dass der Föhn all unsere Sinne und nicht selten auch Emotionen anspricht. Denn kaum ein Wind vermag Furcht und Faszination dermassen zu vereinen wie der Föhn. Gestern wie heute.

Die bekanntesten Beispiele hierfür sind der bei einer Schiessübung des Schweizer Militärs ausgelöste Waldbrand im Jahre 1985 sowie der Grossbrand im historischen Dorfkern «Höfle» im Jahr 2001.

Neben dem Rhein und den Rüfen wurde auch der Föhn in den vergangenen Jahrhunderten seinem Namen als Landesnot gerecht. Dies vor allem im Oberland, insbesondere aber in Balzers. Hier kann der stürmische Südwind für gleich mehrere grosse Dorf- und Waldbrände verantwortlich gemacht werden. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind der bei einer Schiessübung des Schweizer Militärs ausgelöste Waldbrand im Jahre 1985 sowie der Grossbrand im historischen Dorfkern «Höfle» im Jahr 2001. Freilich macht der Föhn allein noch kein Feuer, doch wirkt er im Beisein von Funkenflug als sprichwörtlich «brandgefährlicher» Katalysator. Diese Erkenntnis bewegte die Bevölkerung im Land bereits im 18. Jahrhundert dazu, Föhnwachen zu organisieren, welche im Ernstfall Alarm schlugen. Im letzten Jahrhundert ging diese Verantwortung immer häufiger an die Feuerwehren über, ehe die Föhnwache heute in ihren ursprünglichen Sinn kaum mehr existiert.

Die Zeiten haben sich geändert, der Föhn jedoch ist geblieben. Dessen Auftreten konzentriert sich grösstenteils auf die Monate von Oktober bis Mai, während er in den Sommermonaten nur selten bläst. Diese Tatsache hängt mit den grossräumigen globalen Zirkulationsmustern zusammen, welche sich im Sommer- und Winterhalbjahr voneinander unterscheiden. Generell kann aber festgehalten werden, dass gerade die vergangenen 2-3 Jahre eher föhnarm waren. Wie sich die Auftretenshäufigkeit des Föhns in Zeiten sich ändernder klimatischer Bedingungen künftig entwickeln wird, ist zurzeit leider noch kaum erforscht. Da jedoch mit einer zunehmenden Verharrung von Wetterlagen über längere Zeiträume gerechnet wird, ist davon auszugehen, dass sich föhnarme Perioden mit föhnreichen Phasen abwechseln.

170 km/h höchster gemessener Wert in Balzers

So oder so gilt: Wenn der Föhn bläst, dann kann es in Balzers richtig zur Sache gehen. Ob in Form von migräneartigem Kopfschmerz, wie von Geisterhand bewegten Abfalltonnen oder innert kürzester Zeit geschmolzenem Schnee. Diese faszinierende und gleichzeitig machtdemonstrierende Seite des Föhns kann es einem sprichwörtlich antun. Mitunter ist dies sicherlich ein Grund, weshalb ich mich bereits im Kindesalter dem Wetter verschrieben habe. Was damals als aussergewöhnliches Hobby begann, hat sich dank der sozialen Medien mittlerweile zu einem kleinen Unternehmen weiterentwickelt. Gemeinsam mit gleichgesinnten Kollegen aus dem nahen Vorarlberg betreibe ich seit drei Jahren den «Wetterring Liechtenstein» als ersten privaten Wetterdienst des Landes. Das Herzstück der Arbeit stellt neben den Wetterprognosen und Warnungen das Wetterstations-Netz dar, welches besonders den Föhn an vielen Standorten des Landes und der Region erfasst.

Dabei konnten an der Landesgrenze beim St. Katharinabrunna Windspitzen von über 170 km/h gemessen werden. Ein faszinierender und im Land bis dato noch nie gemessener Wert.

Dass der Balzner Föhn ein Besonderer seiner Art ist, haben die Wissenschaft und gleichgesinnte Wetterfanatiker längst erkannt. In Fachkreisen fällt das Wort «Balzers» immer häufiger, wenn es um den Föhn geht. Auch die Forschung streckt ihre Fühler immer wieder nach Balzers aus. So fühlte die ZHAW dem Föhn von Dezember 2020 bis Februar 2021 mit mehreren Messgeräten auf den Zahn und versuchte, das Geheimnis hinter dem Balzner Föhn zu lüften. Dabei konnten an der Landesgrenze beim St. Katharinabrunna Windspitzen von über 170 km/h gemessen werden. Ein faszinierender und im Land bis dato noch nie gemessener Wert. Noch faszinierender erscheint dieser Wert unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die vermessenen Föhnstürme keine aussergewöhnlich starken oder schadenbringenden Stürme waren.

Der letzte grosse Föhnsturm, welcher in Balzers, aber auch in anderen Teilen des Landes für grössere Schäden sorgte, war der Föhnsturm vom 10. /11. Dezember 2017. Orkanböen von teils deutlich über 120 km/h sorgten damals für grössere Sachschäden und gesperrte Strassen. Es wird zudem davon ausgegangen, dass die Windböen am erwähnten Messpunkt bei der Landesgrenze damals punktuell um 200 km/h betragen haben könnten. An Tagen wie diesen weicht die Faszination über den Föhn berechtigterweise wieder der Furcht. Doch mit dieser hat die Balzner Bevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten zu leben gelernt. Selbstverständlich soll dies der Diskussion um den Föhn keinen Abbruch tun. Doch eines sei an dieser (letzten) Stelle gewiss: Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn.