von Henning von Vogelsang
Sie als Leserin oder Leser des «60Plus» wissen sicher, dass ein Rentmeister nicht etwa ein Mensch ist, der es meisterhaft versteht, mit einer bescheidenen Rente auszukommen. Denn ein Rentmeister war früher nicht nur für die «Renten» (ursprünglich nur die jährlichen Abgaben auf Grundstücke, später alle regelmässigen Abgaben) zuständig, sondern für die Einnahme und Verrechnung aller Feudalabgaben, Fronen, Gefälle (indirekte Steuern) und Erträge der Domäne.
Und doch gibt es einen Bezug zwischen den eine Altersrente beziehenden Menschen und dem damaligen Rentmeister. Zwar kennen wir hier keine Feudalabgaben, doch einige von uns leben bekanntlich recht feudal. Aber die können wir beiseite lassen, denn der oder die liechtensteinische Durchschnittsrentner/-rentnerin kennt das Wort «feudal» nur aus Märchenbüchern. Eine Rente bezieht man bekanntlich nur, wenn man zuvor in die obligatorische Rentenkasse (AHV) einbezahlt hat. Und damit ist man aller Sorgen ledig, lebt finanziell in etwa ähnlich sicher wie während des Erwerbslebens? Schön wär’s . . .
Weil ausgepowert, in die Frühpension
Sicher, da gibt es noch die Pensionskasse, aber die ist, einmal ausbezahlt, für manch anderes weggegangen: Man hatte vielleicht Schulden, ersetzte das längst marode Auto oder liess sich die nunmehr verkürzte Rente als monatlichen Zustupf auszahlen, so immerhin eine Zeit lang ein wenig mehr Sicherheit erhaltend. Immens und unbegrenzt nutzbar ist sie kaum. Hinzukommt, dass es immer mehr Menschen gibt, die die Möglichkeit der Frühpensionierung wahrnehmen – und zwar in der Regel nicht, weil sie mit einem satten finanziellen Polster ausgestattet sind und damit nun die Welt bereisen wollen, sondern weil sie das Erwerbsleben kaputt gemacht hat, weil sie ausgepowert sind, dem Leistungsdruck und stetem Stress trotz Medikamenten nicht mehr standhalten, weil sie es zu spüren bekommen, dass sie dem Chef zu teuer erscheinen und er lieber junge, billigere Arbeitskräfte einstellen würde, weil sie daheim einen kranken Partner haben, weil sie der alleinerziehenden Tochter die Kinder abnehmen wollen, damit diese ein Einkommen hat und kein Sozialfall wird usw.
Und wer in die AHV und Pensionskasse einbezahlt und alles versteuert hat, muss die Rente bis auf den Freibetrag ja auch noch versteuern, den Nebenerwerb selbstredend auch.
Tatsache für viele eine Rente beziehende Anzahl Mitmenschen ist: Es sind etliche, die ohne Nebenerwerb im Rentenalter finanziell nicht auskommen würden. Und wer in die AHV und Pensionskasse einbezahlt und alles versteuert hat, muss die Rente bis auf den Freibetrag ja auch noch versteuern, den Nebenerwerb selbstredend auch. Und dann darf der/die sich gedemütigt empfindende Rentenbezüger/-bezügerin sich übrigens auch noch Vorwürfe seines betuchten Nachbarn anhören, dass man seinen Schweizer Franken doch bitte patriotischerweise in Liechtenstein und nicht im Ausland zweimal umdrehen sollte. Doch wer im Rentenalter im Ausland einkauft, tut das nicht, um den heimischen Handel abzustrafen, sondern in der Regel deswegen, weil dort oft viel weniger für ein Produkt zu berappen ist als hierzulande. Sogar für in der Schweiz produzierte Waren.
Wie mit dem Einkommen auskommen?
Das führt zur Frage, wie denn so ein einheimischer Rentner mit einer kleinen Rente lebt. Ein konkretes Beispiel: Frau und Herr Liechtensteiner beziehen beide Renten, sie aufgrund zeitweiliger Tätigkeit und der grossgezogenen Kinder, er aus seiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit. Beide beziehen auch bescheidene Renteneinkünfte aus zeitweiliger Tätigkeit im Ausland. Er hat ungefähr 1700 Franken AHV, sie ein wenig mehr. Seine reicht aber für die Monatsmiete ihrer Wohnung schon nicht mehr aus. Also arbeitet er noch durch gelegentliche Aufträge im Homeoffice, saisonal stark schwankend, um das Geld aufzustocken. Sie brauchen aber ein Auto: für seinen Teilzeitjob, für Einkäufe, Arztbesuche, Enkeltransporte usw., das Postauto ist für beide in ihrem Alter nicht fussläufig erreichbar und kostet auch einiges.
Beiträge für Vereinsmitgliedschaften und -spenden haben sie mit Bedauern längst schon gestrichen, und ein Schuhkauf, eine Autoreparatur, eine Medikamentenzuzahlung und Weihnachtsgeschenke für die Enkel bescheren ihnen schlaflose Nächte.
Hinzukommen hohe Krankenkassenbeiträge mit über 1000 Franken monatlich, Steuern, Versicherungen, Treibstoff, Haushalt, und – nein: auch Ferien sind nicht mehr drin, kein Theaterbesuch, kein Zeitungs- und Zeitschriftenabo, ein gelegentlicher bescheidener Restaurantbesuch auch nur selten, und wenn der Skiklub und der Gesangsverein auf Spendentour unterwegs sind, verhalten sie sich still, denn 20 Franken erwartet man vielleicht, aber morgen müssen sie Kehrichtmarken kaufen. Beiträge für Vereinsmitgliedschaften und -spenden haben sie mit Bedauern längst schon gestrichen, und ein Schuhkauf, eine Autoreparatur, eine Medikamentenzuzahlung und Weihnachtsgeschenke für die Enkel bescheren ihnen schlaflose Nächte. (Auf die Enkel kommen wir noch einmal zurück). Das sind nur Beispiele aus dem Leben. Oft gibt es noch unerwartete andere Zahlungen zu tätigen wie zum Beispiel Reparaturen. Eigentlich lautet die Bilanz: Nur mit erheblichen Verrenkungen, einer deutlichen Senkung des Lebensstandards und mit ständigem, sorgenvollem Jonglieren kommen sie von Monat zu Monat.
Wer nicht in dieser Rentner-Situation ist, vergleiche einmal seine derzeitigen Ausgaben mit denen unseres Beispiels. Er/sie wird sich, wenn ehrlich, fragen: Wie ist das möglich? Die Antwort: Mit ständigen Sorgen, Ängsten, mit Verzicht, Ratenzahlungen, manchmal Leihgaben aus dem familiären Umfeld, mit Scham und Angst bei jedem Couvert im Briefkasten, das nach einer Rechnung aussieht. Studien zeigen denn auch: Die wichtigsten Determinanten für die Lebenszufriedenheit – erfasst durch die subjektive Einschätzung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit – bestehen in der finanziellen Lage, der Wohnsituation und den sozialen Kontakten.
Alter als Chance statt als Defizit sehen
Sind Rentnerinnen und Rentner ganz im Unrecht, wenn sie sich selber anhand ihrer finanziellen Situation als eine Art Gnadenempfänger empfinden, die man am besten durch harmlose Beschäftigungen und Unterhaltungen bei Laune hält? Einige Angebote gibt es ja. Aber möchte der in Ehren ergraute Mensch das Rentenalter mit Beschäftigung zur Vermeidung einer Depression verbringen, wo er doch den bisher grössten Teil seines Lebens damit verbracht hat, etwas Sinnvolles zu tun, das anderen nützlich war? Nicht umsonst jedenfalls bezeichnen Satiriker das Renten-Bezugsdatum als gesetzlich vorgesehenes Datum, um am zweckmässigsten den Löffel abzugeben. Aber Rente abkassieren und auf der faulen Haut liegen? Von wegen! Die Bevölkerung hat vom Alter ein falsches Bild, sagt der Altersforscher Mario Störkle von der Hochschule Luzern. Seine Studie zeigt: In vielen Lebensbereichen sind Seniorinnen und Senioren «systemrelevant». «Ältere Menschen entdecken oftmals im Alter ihre altruistische Seite neu und erkennen in der gemeinnützigen Arbeit eine Chance, die Gesellschaft mitzugestalten», sagt Störkle. Ältere Menschen seien denn auch prädestiniert für freiwilliges Engagement. Einerseits bringen sie häufig viel Erfahrung mit beim Ausüben einer Tätigkeit – oftmals wählen sie für ihre Freiwilligenarbeit einen Bereich, in dem sie ihre frühere berufliche Tätigkeit weiterführen können, beispielsweise als ehemalige Lehrerin im Nachhilfeunterricht für Kinder. Andererseits haben Pensionierte mehr Zeit und Freiheit, ihren Alltag so zu gestalten, wie sie möchten. «Diesen Umstand nutzen sie, um sich in einem völlig neuen Umfeld freiwillig zu engagieren und so auch andere Menschen und deren Lebenswelten kennenzulernen», so der HSLU-Experte. «Wir als Gesellschaft tun gut daran, im Alter eher eine Chance als ein Defizit und unsere älteren Mitmenschen als gesellschaftliche Stütze statt als Last zu sehen», zitiert der Autor des Beitrags, Saverio Genzoli, den Altersforscher Störkle.1
Zurück zu den Enkelkindern: Bereits eine ältere liechtensteinische Studie 2 hatte den Beleg erbracht, wie wichtig die Kontakte der Senioren zu den Enkeln sind; die Anzahl Betreuungsstunden wurde allerdings nicht erfasst. Da geht es nicht nur um Entlastung der Eltern dieser Enkel, sondern auch um die positive psychologische Rolle von Grosseltern für ihre Enkel.3 Nicht zuletzt engagieren sich Ältere besonders stark in der Betreuung von Enkelkindern und pflegebedürftigen Verwandten. Ein Blick in den Freiwilligen-Monitor zeigt: Das vielzitierte «Enkelhüten» ist nicht einfach ein Klischee, sondern macht einen beachtlichen Teil des informellen Engagements der Bevölkerung aus. Kinderbetreuung wird in Liechtenstein wie in der Schweiz am zweithäufigsten von der Altersgruppe der 60- bis 74-Jährigen geleistet, direkt nach den 30- bis 44-Jährigen.4
1 Vgl. Altwerden: Lust oder Frust? Eine Herausforderung für die Psychologie. 7. Brixener Tage für Psychologen der Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Psychologenverbände.
2 U. Baumann, M. Büchel, R. Schneider: Alter – Chancen und Grenzen; Bericht zur Tagung im Fürstentum Liechtenstein am 2. Oktober 2003; LAK, Stiftung Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe, S. 33.
3 Umgekehrt zeigte sich in der liechtensteinischen Jugendstudie 2006, dass die Grosseltern für die Jugendlichen zu den allerwichtigsten Bezugspersonen gehören.
4 Literatur: Alter – Chancen und Grenzen; Bericht zur Tagung im Fürstentum Liechtenstein am 2. Oktober 2003; LAK, Stiftung Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe.