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60Plus | Gesundheit | September, 2023
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Longevity – der Traum vom ewigen Leben

von Lukas Hinterhuber

Hinter den Traum, ein möglichst hohes Alter zu erreichen, steckt der Wunsch, die Gesundheit bis ins hohe Alter zu bewahren. Weltweit suchen Forschergruppen nach Möglichkeiten, mit denen der Mensch älter, aber vor allem gesund älter werden kann. Einstimmig ist die Wissenschaft überzeugt, dass ein gesundes Lebensalter von 120–150 Lebensjahren realistisch ist. Doch wie lässt sich das erreichen? Und wollen wir das wirklich?

Dank der Fortschritte in Forschung, Diagnostik, Medizin und Therapien, der Behandlung von Infektionskrankheiten sowie durch höhere Hygienestandards und bessere Ernährung hat sich die Lebenserwartung in den vergangenen 150 Jahren etwa verdoppelt. In Liechtenstein werden im Jahr 2019 geborene Mädchen durchschnittlich 84 Jahre alt, davon 65 Jahre in sehr guter oder guter Gesundheit. Bei den Buben sind es 79 und 63 Jahre. 

Laut dem US-Marktforschungsunternehmen Zion Research könnte der bisher rund 112 Milliarden US-Dollar schwere Longevity-Markt bis zum Jahr 2028 auf 163 Milliarden Dollar wachsen.

Das Thema Longevity erlebt gerade in Amerika einen grossen Boom. Milliarden werden in diesem Bereich investiert. Laut dem US-Marktforschungsunternehmen Zion Research könnte der bisher rund 112 Milliarden US-Dollar schwere Longevity-Markt bis zum Jahr 2028 auf 163 Milliarden Dollar wachsen. Aber auch in der direkten Umgebung von Liechtenstein gibt es immer mehr Wissenschaftler, Ernährungsmediziner, Ärzte und Krankenhäuser, die sich mit diesem Thema beschäftigen 1. 

Bisher wurde angenommen, dass Alterungsprozesse (auf zellulärer, genetischer, mitochondrialer Ebene) unaufhaltsam fortschreiten sodass das Lebensalter nach maximal 100 Jahren durch Schäden an der DNS, an der Erschöpfung der Stammzellen, das Ende der Zellteilung erreicht werden kann.

Der Albtraum vom ewigen Leben

Biogerontologe Aubrey de Grey möchte hingegen den Tod komplett abschaffen. Der Mitgründer der «SENS Research Foundation» sagte kürzlich in einem Interview 2: «Wir werden gar nicht sterben. Wir wollen Menschen nehmen, die, sagen wir, 50 oder 60 Jahre alt sind und noch keine erkennbaren Krankheiten aufweisen, und sie biologisch wieder wie einen 30-Jährigen aufstellen. Wenn die Menschen dann wieder biologisch 60 Jahre alt sind, wird das Ganze wiederholt.» Möglich gemacht soll das z. B. durch Reprogrammierung. Sie zielt darauf ab, Zellen im Labor auf Stammzellebene zurückzusetzen und in weiterer Folge zu jüngeren Körperzellen zu differenzieren. Aktuell ist dieser Wunsch illusorisch, sogar lebensgefährlich. Mit dem Schaffen jüngerer Zellen steigt auch das Risiko für unkontrolliertes Zellwachstum und somit für Krebserkrankungen. 

Der Wunsch nach einem Leben in guter Gesundheit

Was kann ich selbst tun, damit ich gesund alt werde? Oder gibt es Nahrungsmittelergänzungen oder Medikamente, die ich bedenkenlos einnehmen kann, um ein hohes und gesundes Alter zu erreichen?

Die Menschen essen in allen fünf Regionen wenig Fast-Food und Zucker, dafür umso mehr Gemüse, unverarbeitete Lebensmittel (etwas frischen Fisch und Fleisch). Sie überessen sich nicht. Ausserdem sind die Menschen sehr gesellig, stressen sich nicht und bewegen sich regelmässig.

Blaue Zonen

Zunächst lohnt es sich, in die Regionen der Welt zu blicken, in denen Menschen wirklich alt werden. Als «Blaue Zone» wird eine Region der Welt bezeichnet, in denen Menschen viel länger leben als der Durchschnitt. Fünf davon gibt es: Okinawa (Japan), Ogliastra auf Sardinien (Italien), Loma Linda in Kalifornien (USA), Insel Ikaria (Griechenland), Nicoya-Halbinsel (Costa Rica). Verhält man sich wie die Menschen dort, könnte man also länger leben. Doch was machen sie gleich? Tatsächlich gibt es einige Überschneidungen. Die Menschen essen in allen fünf Regionen wenig Fast-Food und Zucker, dafür umso mehr Gemüse, unverarbeitete Lebensmittel (etwas frischen Fisch und Fleisch). Sie überessen sich nicht. Ausserdem sind die Menschen sehr gesellig, stressen sich nicht und bewegen sich regelmässig. Interessant: In allen fünf Regionen leben die Menschen etwas isoliert von der modernen Lebensweise, etwa in Tälern oder auf Inseln. Sie leben ein traditionelles Leben, ohne zu viel Arbeitsstress, Auto-Smog, digitale Medien und Zeitdruck. Der Weg für ein langes Leben scheint also zu sein, ein entschleunigtes, ursprünglicheres Leben zu führen.

Bryan Johnson

Milliardär und Tech-CEO Bryan Johnson (45) etwa hat das Ziel, biologisch wieder 18 Jahre alt zu werden. Um das zu erreichen, beschäftigt er 30 Ärzte und Experten. Diese sind überzeugt, ihn bereits fünf Jahre jünger gemacht zu haben, indem sich Johnson vegan ernährt, jeden Tag eine Stunde trainiert – und neben anderer Nahrungsergänzungsmittel jeden Morgen 13,5 Milligramm Spermidin zu sich nimmt. Denn Spermidin soll, da sind sich Longevity-Anhänger einig, das Potenzial haben, das Leben zu verlängern. 

Die Grundsäulen eines langen Lebens

Ernährung, Bewegung, Schlaf, soziale Kontakte . . . und Medikamente? Es gibt ein paar wenige Hauptmechanismen, die dafür sorgen, dass beispielsweise kaputte DNS-Abschnitte und alte Proteine repariert werden, Zellen sich reinigen und Zellorganellen wie Mitochondrien sich neu bilden. Diese Hauptpfade basieren auf Enzymen und Proteinen wie Sirtuinen, mTor und AMPK. Die Grundlagenwissenschaft stützt sich vor allem auf diese drei Signalstoffe. Nach aktuellem Stand weiss man, dass man diese drei Signale am effektivsten durch Fasten und Ernährung, ergänzt durch Sport und ausreichend Schlaf, positiv beeinflussen kann. Die Pharmaindustrie versucht nun fieberhaft herauszufinden, wie man diese drei Signalwege durch Medikamente aktivieren bzw. hemmen könnte. Gross angelegte Studien zu Einnahme von Spermidin, Metformin, Glukosamin, Fisetin oder bestimmten NAD-Boostern haben bisher erste vielversprechende Ergebnisse gebracht. Eine grosse Studie 3 beispielsweise untersucht die Einnahme des Diabetesmedikaments Metformin. Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend, sodass Metformin von manchen Ärzten schon heute als Anti-Aging-Medikament propagiert wird. Natürlich muss man sich bewusst sein, dass es sich dabei um ein Medikament mit Nebenwirkungen handelt. 

Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass Spermidin die Autophagie anregt – die Selbstreinigung und Verjüngung der Zellen. Beschädigte Zellen werden bei der Autophagie von einer Membran überzogen und verdaut.

Resveratrol und Spermidin

Anders – weil unbedenklich – ist das Nahrungsergänzungsmittel Resveratrol (Traubenkernextrakt). Hier wurde in einigen Studien 4 eine positive antioxidative Wirkung festgestellt. Hier kann bedenkenlos eine Tagesdosis von 500 mg empfohlen werden. Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass Spermidin die Autophagie anregt – die Selbstreinigung und Verjüngung der Zellen. Beschädigte Zellen werden bei der Autophagie von einer Membran überzogen und verdaut. Empfohlen sind mindestens 5 mg Spermidin täglich. Seit Jahren macht sich Industrie den wachsenden Hype zunutze. Nahrungsergänzungsmittel werden nicht selten um CHF 100.– pro Dose verkauft. Dabei gibt es Präparate, bei denen nur 1mg/Kaps. zugesetzt sind. Dabei ist die Aufnahme auf natürlichem Wege mit einer vollwertigen Ernährung leicht zu schaffen. Spermidin ist in Weizenkeimen, Pilzen, Erbsen, Brokkoli, in Apfel- und Birnenschalen reichlich vorhanden.

10 Lebensjahre durch gesunde Ernährung und Intervallfasten

Wie sich nun jemand gesund ernährt, sollte jeder für sich selber beantworten. Insgesamt hat sich gezeigt, dass das Intervallfasten aufgrund der Apoptose einen positiven Einfluss auf das Alter hat. Am populärsten ist hier das 16/8 Prinzip. Hier wird innerhalb von acht Stunden gegessen und darauf folgt dann eine 16-stündige Fastenperiode. Eine gross angelegte norwegische Studie hat herausgefunden, dass, rechtzeitig begonnen, die Lebenszeit durch eine gesunde Ernährung mit Fasten um unglaubliche 10-13 Jahre verlängert werden könnte 5. 

Unter den vielen Ernährungsformen einer gesunden Ernährung möchte ich die Planetary Health Diet hervorstreichen. Sie ist dennoch keine rein vegane oder pflanzliche Ernährungsweise. Bei der Berechnung der Komponenten wurde ermittelt, dass Hülsenfrüchte, Gemüse, Vollkorngetreide, Obst und Salate den grössten Anteil unserer Nahrung ausmachen sollten. Dazu können 200 bis 300 Gramm Fleisch pro Woche und eine gewisse Menge Milchprodukte verzehrt werden. Hielten wir uns an diesen Speiseplan, hätte die Erde eine sehr viel bessere Chance, den Klimawandel zu stoppen. Die Planetary Health Diet vereint im Prinzip den goldenen Schnitt: gesunder Planet, gesättigter Mensch, gesunder Körper.

Bewegung, aber wie?

Der positive Effekt des Ausdauertrainings ist unbestritten, aber vor allem im Alter wird das Kraft- und Koordinationstraining immer wichtiger. Damit beugt man effektiv der Sarkopenie, also dem altersbedingten Muskelschwund, vor. Ich rate daher zu koordinativer Bewegung wie Tai-Chi, Qi Gong, Yoga oder Tanzen. Es ist auch nicht ratsam, monoton drei Stunden auf dem Ergometer zu sitzen. Das ist zwar gut für das Herz-Kreislauf-System, aber im Rest des Körpers verhindert man dadurch keine Alterungsprozesse. Lieber einen Sport wählen, bei dem man auch mal rückwärtslaufen, hüpfen oder springen muss, den man gerne, auch mit PartnerIn und Freunden, macht. Konkret sind zwei bis drei Einheiten Krafttraining und 150 bis 300 Minuten Ausdauertraining pro Woche empfohlen. Das Krafttraining setzt sich aus Gleichgewichtstraining und muskelstärkenden Aktivitäten zusammen. 

Im Prinzip gilt: Man hat zu kurz geschlafen, wenn man zum Aufstehen einen Wecker braucht. Wenn man sich zum Beispiel für 7.30 Uhr einen Wecker gestellt hatte und eine Stunde vorher spontan aufwacht, dann ist es ratsam, gleich aufzustehen.

Schlaf

Zwei Faktoren sind beim Schlaf überwiegend genetisch bedingt: Die Schlafdauer und der sogenannte Chronotyp, also ob man Frühaufsteher oder Nachteule ist. Die Faustregel lautet: Man sollte versuchen, zumindest an den meisten Tagen der Woche, seinem Bio-Rhythmus entsprechend ausgeschlafen zu sein. Denn im Schlaf reinigen sich die Gehirnzellen; dafür sorgt das glymphatische System, das aus Zellen besteht, welche die eigentlichen Nervenzellen umgeben. Im Prinzip gilt: Man hat zu kurz geschlafen, wenn man zum Aufstehen einen Wecker braucht. Wenn man sich zum Beispiel für 7.30 Uhr einen Wecker gestellt hatte und eine Stunde vorher spontan aufwacht, dann ist es ratsam, gleich aufzustehen. Die Tiefschlafphasen sind am frühen Morgen in der Regel ohnehin vorüber. Wichtig ist, dass man weiss, wie viel Schlaf man ungefähr braucht und sich diese Zeit ohne Stellen des Weckers auch zugesteht. Schlaf ist nebenbei noch erholsamer, wenn man am Abend früher ins Bett geht. Wenn es draussen dunkel wird, schüttet der Körper das Hormon Melatonin aus. Vor allem die ersten Stunden nach dem Einschlafen sind aus wissenschaftlicher Sicht besonders relevant für die Erholungsprozesse im Körper 6.

Fazit

Fürs gesunde Altern gibt es bewährte, wissenschaftlich fundierte Regeln: Bewegung, eine gesunde Ernährung, nicht mehr Kalorien konsumieren als man verbraucht, ein gesunder Schlaf und soziales Kapital aufbauen. Dazu gehören enge, persönliche Beziehungen genauso wie soziale Unterstützung, etwa in Form eines Freundeskreises, und das Erleben von Sinnhaftigkeit, zum Beispiel in der Familie oder in einem Verein. Lieben, leben und lachen sind das Wichtigste, um lange gesund zu leben. Sollte es einmal ein Medikament geben, das uns Bewegung, ausgewogene Ernährung und soziale Kontakte erspart, wäre das Leben nicht reicher.

Ich wünsche allen LeserInnen von 60+ nicht unbedingt ein langes Leben an sich, sondern ein langes Leben in guter Gesundheit mit viel Lebensfreude.

 

1 revity.ch/longevity.ch/maximon.com ect.

2 stern.de, Wie die Wissenschaft versucht, den Menschen unsterblich zu machen

3 TAME-Studie

4 RESHAW-Studie

5 Fadnes LT, Økland JM, Haaland ØA, Johansson KA (2022) Correction: Estimating impact of food choices on life expectancy: A modeling study. PLOS Medicine 19(3)

6 Prof. Andreas Michalsen in welt.de am 03.08.2023

 

Lukas Hinterhuber ist Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Geriatrie. Sein Themenschwerpunkte sind neben der Geriatrie die Gastroenterologie und die Ernährungsmedizin. Er arbeitet am Landesspital in Vaduz als Leiter der Abteilung für Akutgeriatrie sowie in einer Praxis in Tirol.